1. Februar 1991, kurz vor Mitternacht. Ein für den Jazz in der Region, für Neuburg und für die Betreiber des Birdland Jazzclubs geht ein denkwürdiger Tag zu Ende. Soeben nämlich ist das erste Konzert im Keller unter der ehemaligen Hofapotheke in Neuburgs Altstadt zu Ende gegangen. Dusko Goykovich (Trompete, Flügelhorn), Roman Schwaller (Tenorsaxofon), Joe Kienemann (Piano), Karsten Gnettner (Bass) und Wolfgang Haffner (Schlagzeug) verlassen die Bühne. Sie haben gerade eben ein Stück Jazzgeschichte geschrieben. Was natürlich damals, vor genau 30 Jahren, niemand vorhersehen konnte. In den nächsten Jahren wird die Adresse Am Karlsplatz A 52, D-86633 Neuburg an der Donau, in Jazzkreisen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Der Birdland-Jazzclub an sich ist ja doppelt so alt. Nur hatte er in der ersten Hälfte seines Bestehens kein dauerhaftes Domizil. In lockerer Folge holte der Club bereits vorher nationale und internationale Stars des Jazz an die Donau, gespielt wurde im „Cafe Huber“, in der „Rennbahn“, im „Neuhof“, in der „Aussicht“ und im „Cocodrillo“. „Das waren aber immer nur Notlösungen“, erzählt Birdland-Chef Manfred Rehm. „Wir waren damals auf der Suche nach einer festen Spielstätte und ich bekam eines Tages den Tipp von Winfried Rein, einem Ingolstädter Journalisten des Donaukurier übrigens, dass geplant sei, das Gebäude, das ab 1713 als Hofapotheke fungiert hatte, zu renovieren, und dass das dazugehörige Kellergewölbe für uns doch ideal sei. Das war es tatsächlich. Der damalige und auch noch heutige Besitzer der Immobilie, ein Ingolstädter Investor, hatte eigentlich vor, dort eine Weinstube zu eröffnen, warf aber sofort diesen Plan über den Haufen, als ich ihm die Idee eines Jazzkellers vorstellte, und war begeistert.“
Nachdem der dort gelagerte Schutt und Unrat entfernt waren, ließ er den Keller nach den Vorstellungen Rehms umbauen. Die 17 Zentimeter dicken Natursteine des Fußbodens wurden erhalten, darunter freilich wurde eine moderne Fußbodenheizung verlegt. Auch die Belüftungsanlage, die jetzt in Coronazeiten so wertvoll ist, weil sie innerhalb von 11 Minuten die gesamte Raumluft durch Frischluft von draußen ersetzt, wurde damals schon eingebaut. „Das passierte wegen des Zigarettenqualms“, so Rehm. „Damals durfte man noch rauchen. Beim Jazz gehörte das ja fast schon mit dazu. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, was los ist, wenn zwei Drittel der Zuhörer pausenlos Gauloises, Gitanes und Salem No.6 vor sich hin qualmen. Das Schöne an der Anlage ist: Man kann sie auch während der Konzerte durchlaufen lassen, denn sie arbeitet nahezu geräuschlos.“
Am späten Abend des 1. Februar 1991 ist dann auch die letzte Frage beantwortet. Würde sich das Gewölbe auch in akustischer Hinsicht als geeignet erweisen? – Nach dem erfolgreichen „Probelauf“ mit dem Dusko Goykovich Quintett stellte sie sich gar nicht mehr, denn gerade wegen des hervorragenden Raumklangs sind ja nicht nur die Zuhörer begeistert, sondern auch die Musiker regelrecht scharf darauf, im Birdland spielen zu können.
30 Jahre ist das her, 30 Jahre, in denen fast alle, die im Jazz, Rang und Namen haben, in diesem Keller aufgetreten sind. Unter ihrem eigenen Namen, oder auch eher unauffällig, als Sidemen sozusagen. Bei durchschnittlich 70 Konzerten im Jahr ist ihre Anzahl beträchtlich. Wenn man sich die Fotogalerie an den Wänden des Clubs ansieht, bekommt man einen Eindruck davon. Es handelt sich dabei um ein Who’s Who des Jazz. Musiker, die zum ersten mal vor Ort sind, staunen regelmäßig ungläubig und fast andächtig, wenn sie registrieren, wer vor ihnen alles schon mal auf dieser kleinen, gerade mal 14 Quadratmeter großen Bühne gestanden hat (siehe Kasten).
Nach all den Jahren gibt es natürlich auch jede Menge Anekdoten. Die vom Auftritt des Pianisten Cecil Taylors etwa. Er gab im November 2011 im Birdland eines von lediglich zwei Europa-Konzerten. Als der Bayerische Rundfunk davon hörte, wollte man das dort zuerst gar nicht glauben, schnitt aber den Auftritt dann mit. Das war der Startschuss für das Birdland Radio Jazz Festival, das Radio 2020 bereits zum 10. Male stattfand.
Oder die über das Konzert mit der Band um den Trompeter Clark Terry im Mai 2000. „Wir waren vor dem Konzert gemeinsam essen und Clark konnte sich köstlich amüsieren über die Bezeichnung „Herr Ober!“. Während des Auftritts komponierte er dann spontan auf der Bühne ein Stück, nannte es „Herr Ober!“ und ließ das Publikum mitsingen. Später kam dann eine CD mit dem Konzertmitschnitt heraus, ebenfalls unter dem Namen „Herr Ober!“. Terry kam damit sogar in die Billboard-Charts.“
Und schließlich Tommy Flanagan. Der Pianist gab im Oktober 1994 ein Solokonzert, was ihm, der sich immer als Teamspieler sah, gar nicht behagte. Das Konzert war sensationell, wurde mitgeschnitten, die Veröffentlichung kam aber nicht zustande, weil Flanagan zauderte und zögerte. Exakt dieses Konzert ist nun endlich auf Enja Records unter dem Titel „In His Own Sweet Time“ erschienen und wird allgemein als Sensation gefeiert.
Auch der Flügel aus dem Hause Bösendorfer ist mit einer Geschichte verbunden. „Eigentlich wollten wir zur Eröffnung vor 30 Jahren ja einen Steinway kaufen“, erzählt Manfred Rehm. „Dann wurde ich auf die Firma Bösendorfer in Wien aufmerksam gemacht. Ich kontaktierte also zehn Pianisten und fragte sie, welches Instrument sie denn bevorzugen würden. Acht sagten, ein Steinway wäre super, ein Bösendorfer aber ein Traum. Also fuhren wir nach Wien, um einen auszusuchen. Oscar Peterson war gerade in der Stadt, hat für uns die 20 vorhandenen Modelle ausprobiert und für uns die Vorauswahl getroffen. Seither steht ein Bösendorfer M 200 bei uns hier im Club.“
Bei einem Projekt wie dem Birdland läuft viel im Hintergrund ab, wovon der Konzertbesucher erst einmal gar nichts mitbekommt. Da gibt es das clubeigene „Birdland“-Plattenlabel, auf dem mittlerweile 18 CDs erschienen sind. Da gibt es die erste Etage, hoch über dem Kellergewölbe. Dort befinden sich das Büro und das Archiv, von dort sendet der Bayerische Rundfunk alljährlich die vierstündigen Jazznächte, dort ist die Instrumentensammlung mit jeweils zwei E-Pianos, Kontrabässen und Drum-Sets, einem Vibrafon, Verstärkern und Mikrofonen untergebracht.
Von dort aus hält Rehm Kontakt zu Agenturen und Musikern in der ganzen Welt, von dort aus entwirft er das reguläre Konzertprogramm, die Reihen „Art Of Piano“ und „Jazz regional“, das Birdland Radio Jazz Festival und eine Reihe für junge Bands, die finanziert wird über die Preisgelder aus dem Spielstättenpreis der Bundesregierung.
Bleibt noch eine Frage, die ihm seit 30 Jahren immer wieder gestellt wird. Wie kann man sich diese Weltstars des Jazz, die ansonsten nicht selten in 1000-er Sälen spielen, eigentlich leisten? Wie ist es machbar, dass man in Coronazeiten Bands unter Ausschluss des Publikums beim Birdland Radio Jazz Festival spielen lässt und ihnen auch noch die volle Gage zahlt? „Das Birdland finanziert sich aus mehreren Töpfen.“, sagt Rehm. „Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge und Spenden aus privater Hand sind das eine, hinzu kommen Förderungen durch die Stadt Neuburg und den Landkreis Neuburg-Schrobenhausen, dann das Geld aus dem Spielstättenpreis und schließlich die Sponsoren, nämlich die Audi AG und die vPFoundation.“
h30 Jahre Birdland im Keller unter der ehemaligen Hofapotheke. Herzlichen Glückwunsch! – Aber wie feiert man das Jubiläum in Zeiten, in denen Konzerte verboten sind? Auf diese Frage hat selbst Rehm keine Antwort. „Natürlich habe ich einen Plan für die Zeit nach dem Lockdown. Wir sind auf jeden Fall bereit, sofort loszulegen, wenn es erlaubt ist. Nur kann mir aktuell nun mal niemand sagen, wann das genau sein wird. Damit müssen wir leben.“