30 Jahre Birdland im Kellergewölbe un­ter der Hofapotheke | 30.01.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

1. Februar 1991, kurz vor Mitternacht. Ein für den Jazz in der Region, für Neuburg und für die Betrei­ber des Birdland Jazzclubs geht ein denkwürdiger Tag zu Ende. Soeben näm­lich ist das erste Konzert im Keller unter der ehemaligen Hofapotheke in Neu­burgs Altstadt zu Ende gegangen. Dusko Goykovich (Trompete, Flügelhorn), Roman Schwaller (Tenorsaxofon), Joe Kienemann (Piano), Karsten Gnettner (Bass) und Wolfgang Haffner (Schlag­zeug) verlassen die Bühne. Sie haben ge­rade eben ein Stück Jazzgeschichte ge­schrieben. Was natürlich damals, vor ge­nau 30 Jahren, niemand vorhersehen konnte. In den nächsten Jahren wird die Adresse Am Karlsplatz A 52, D-86633 Neuburg an der Donau, in Jazzkreisen immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Der Birdland-Jazzclub an sich ist ja doppelt so alt. Nur hatte er in der ersten Hälfte seines Bestehens kein dauerhaftes Domizil. In lockerer Folge holte der Club bereits vorher nationale und inter­nationale Stars des Jazz an die Donau, gespielt wurde im „Cafe Huber“, in der „Rennbahn“, im „Neuhof“, in der „Aus­sicht“ und im „Cocodrillo“. „Das waren aber immer nur Notlösungen“, erzählt Birdland-Chef Manfred Rehm. „Wir wa­ren damals auf der Suche nach einer fes­ten Spielstätte und ich bekam eines Ta­ges den Tipp von Winfried Rein, einem Ingolstädter Journalisten des Donaukuri­er übrigens, dass geplant sei, das Gebäu­de, das ab 1713 als Hofapotheke fungiert hatte, zu renovieren, und dass das dazu­gehörige Kellergewölbe für uns doch ideal sei. Das war es tatsächlich. Der da­malige und auch noch heutige Besitzer der Immobilie, ein Ingolstädter Investor, hatte eigentlich vor, dort eine Weinstube zu eröffnen, warf aber sofort diesen Plan über den Haufen, als ich ihm die Idee eines Jazzkellers vorstellte, und war begeistert.“

Nachdem der dort gelagerte Schutt und Unrat entfernt waren, ließ er den Keller nach den Vorstellungen Rehms umbau­en. Die 17 Zentimeter dicken Naturstei­ne des Fußbodens wurden erhalten, dar­unter freilich wurde eine moderne Fuß­bodenheizung verlegt. Auch die Belüf­tungsanlage, die jetzt in Coronazeiten so wertvoll ist, weil sie innerhalb von 11 Minuten die gesamte Raumluft durch Frischluft von draußen ersetzt, wurde da­mals schon eingebaut. „Das passierte wegen des Zigarettenqualms“, so Rehm. „Damals durfte man noch rauchen. Beim Jazz gehörte das ja fast schon mit dazu. Man kann sich heute gar nicht mehr vor­stellen, was los ist, wenn zwei Drittel der Zuhörer pausenlos Gauloises, Gitanes und Salem No.6 vor sich hin qualmen. Das Schöne an der Anlage ist: Man kann sie auch während der Konzerte durchlau­fen lassen, denn sie arbeitet nahezu ge­räuschlos.“

Am späten Abend des 1. Februar 1991 ist dann auch die letzte Frage beantwor­tet. Würde sich das Gewölbe auch in akustischer Hinsicht als geeignet erwei­sen? – Nach dem erfolgreichen „Probe­lauf“ mit dem Dusko Goykovich Quin­tett stellte sie sich gar nicht mehr, denn gerade wegen des hervorragenden Raumklangs sind ja nicht nur die Zuhö­rer begeistert, sondern auch die Musiker regelrecht scharf darauf, im Birdland spielen zu können.

30 Jahre ist das her, 30 Jahre, in denen fast alle, die im Jazz, Rang und Namen haben, in diesem Keller aufgetreten sind. Unter ihrem eigenen Namen, oder auch eher unauffällig, als Sidemen sozusagen. Bei durchschnittlich 70 Konzerten im Jahr ist ihre Anzahl beträchtlich. Wenn man sich die Fotogalerie an den Wänden des Clubs ansieht, bekommt man einen Eindruck davon. Es handelt sich dabei um ein Who’s Who des Jazz. Musiker, die zum ersten mal vor Ort sind, staunen regelmäßig ungläubig und fast andäch­tig, wenn sie registrieren, wer vor ihnen alles schon mal auf dieser kleinen, gera­de mal 14 Quadratmeter großen Bühne gestanden hat (siehe Kasten).

Nach all den Jahren gibt es natürlich auch jede Menge Anekdoten. Die vom Auftritt des Pianisten Cecil Taylors etwa. Er gab im November 2011 im Birdland eines von lediglich zwei Europa-Konzer­ten. Als der Bayerische Rundfunk davon hörte, wollte man das dort zuerst gar nicht glauben, schnitt aber den Auftritt dann mit. Das war der Startschuss für das Birdland Radio Jazz Festival, das Radio 2020 bereits zum 10. Male statt­fand.

Oder die über das Konzert mit der Band um den Trompeter Clark Terry im Mai 2000. „Wir waren vor dem Konzert ge­meinsam essen und Clark konnte sich köstlich amüsieren über die Bezeichnung „Herr Ober!“. Während des Auftritts komponierte er dann spontan auf der Bühne ein Stück, nannte es „Herr Ober!“ und ließ das Publikum mitsingen. Später kam dann eine CD mit dem Konzertmit­schnitt heraus, ebenfalls unter dem Na­men „Herr Ober!“. Terry kam damit so­gar in die Billboard-Charts.“

Und schließlich Tommy Flanagan. Der Pianist gab im Oktober 1994 ein Solo­konzert, was ihm, der sich immer als Teamspieler sah, gar nicht behagte. Das Konzert war sensationell, wurde mitge­schnitten, die Veröffentlichung kam aber nicht zustande, weil Flanagan zauderte und zögerte. Exakt dieses Konzert ist nun endlich auf Enja Records unter dem Titel „In His Own Sweet Time“ erschie­nen und wird allgemein als Sensation ge­feiert.

Auch der Flügel aus dem Hause Bösen­dorfer ist mit einer Geschichte verbun­den. „Eigentlich wollten wir zur Eröff­nung vor 30 Jahren ja einen Steinway kaufen“, erzählt Manfred Rehm. „Dann wurde ich auf die Firma Bösendorfer in Wien aufmerksam gemacht. Ich kontak­tierte also zehn Pianisten und fragte sie, welches Instrument sie denn bevorzugen würden. Acht sagten, ein Steinway wäre super, ein Bösendorfer aber ein Traum. Also fuhren wir nach Wien, um einen auszusuchen. Oscar Peterson war gerade in der Stadt, hat für uns die 20 vorhande­nen Modelle ausprobiert und für uns die Vorauswahl getroffen. Seither steht ein Bösendorfer M 200 bei uns hier im Club.“

Bei einem Projekt wie dem Birdland läuft viel im Hintergrund ab, wovon der Konzertbesucher erst einmal gar nichts mitbekommt. Da gibt es das clubeigene „Birdland“-Plattenlabel, auf dem mittler­weile 18 CDs erschienen sind. Da gibt es die erste Etage, hoch über dem Kellerge­wölbe. Dort befinden sich das Büro und das Archiv, von dort sendet der Bayeri­sche Rundfunk alljährlich die vierstündi­gen Jazznächte, dort ist die Instrumen­tensammlung mit jeweils zwei E-Pianos, Kontrabässen und Drum-Sets, einem Vi­brafon, Verstärkern und Mikrofonen un­tergebracht.

Von dort aus hält Rehm Kontakt zu Agenturen und Musikern in der ganzen Welt, von dort aus entwirft er das regulä­re Konzertprogramm, die Reihen „Art Of Piano“ und „Jazz regional“, das Bird­land Radio Jazz Festival und eine Reihe für junge Bands, die finanziert wird über die Preisgelder aus dem Spielstättenpreis der Bundesregierung.

Bleibt noch eine Frage, die ihm seit 30 Jahren immer wieder gestellt wird. Wie kann man sich diese Weltstars des Jazz, die ansonsten nicht selten in 1000-er Sä­len spielen, eigentlich leisten? Wie ist es machbar, dass man in Coronazeiten Bands unter Ausschluss des Publikums beim Birdland Radio Jazz Festival spie­len lässt und ihnen auch noch die volle Gage zahlt? „Das Birdland finanziert sich aus mehreren Töpfen.“, sagt Rehm. „Eintrittsgelder, Mitgliedsbeiträge und Spenden aus privater Hand sind das eine, hinzu kommen Förderungen durch die Stadt Neuburg und den Landkreis Neu­burg-Schrobenhausen, dann das Geld aus dem Spielstättenpreis und schließlich die Sponsoren, nämlich die Audi AG und die vPFoundation.“

h30 Jahre Birdland im Keller unter der ehemaligen Hofapotheke. Herzlichen Glückwunsch! – Aber wie feiert man das Jubiläum in Zeiten, in denen Konzerte verboten sind? Auf diese Frage hat selbst Rehm keine Antwort. „Natürlich habe ich einen Plan für die Zeit nach dem Lockdown. Wir sind auf jeden Fall be­reit, sofort loszulegen, wenn es erlaubt ist. Nur kann mir aktuell nun mal nie­mand sagen, wann das genau sein wird. Damit müssen wir leben.“