14. Birdland Radio Jazz Festival – Resümee | 25.11.2024

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Die überregionale Strahlkraft des Birdland Jazzclubs wird einmal im Jahr besonders deutlich, nämlich dann, wenn in der Neuburger Altstadt von Oktober bis Ende November die großen Sendewagen des Bayerischen Rundfunks (BR) vor der Hofapotheke parken, um im angrenzenden Jazzclub das „Birdland Radio Jazz Festival“ aufzuzeichnen und es mit einer gut vierstündigen Livesendung abzuschließen. Bei der jüngsten Programmreform der ARD-Rundfunkanstalten kam das Festival zum Glück nicht auf die Streichliste – im Gegenteil! Teile der gestern am frühen Morgen zu Ende gegangenen 14. Auflage der Jazzkonzerte „made in Neuburg“ werden in den kommenden Wochen sogar deutschlandweit ausgestrahlt. Ein unschätzbarer Multiplikator, wie man ihn sich für das Renommee einer Stadt, die Kultur auch als touristischen Faktor versteht, eigentlich nur wünschen kann.

Auch diesmal gab es wieder acht durchwegs gut besuchte bis ausverkaufte Konzerte und begeisterte Reaktionen. Dennoch gehört die Zahl der politischen Mandatsträger, die über die Verteilung öffentlicher Gelder entscheiden und dem Festival als Zuschauer die wertschätzende Ehre geben, auch 2024 längst zur traurigen Realität: Null! Dabei verorten andere, wie BR-Redakteur Uli Habersetzer, das Birdland schon seit langem in der „Weltliga“ – ein Verdienst von Clubchef Manfred Rehm. Es sei ein wahres Juwel, um das die Stadt viele andere Kommunen beneiden, schwelgte sein Kollege Roland Spiegel in der dreieinhalbstündigen Livesendung, die Samstagnacht ab 22.30 Uhr aus dem Obergeschoss der Hofapotheke auf den Programmen Bayern Klassik und Bayern 2 über den Äther ging. „Der Gewölbekeller mitten in der historischen Altstadt ist einer der schönsten Spielorte für Jazz – und einer der verlässlichsten“, so Spiegel. Was auch der Endspurt des 14. Birdland Radio Festivals – wenig überraschend – wieder eindrucksvoll unter Beweis stellte. Zum Finale der acht gerade wegen ihrer programmatischen Vielfalt grandiosen Konzerte, bei denen jeder Abend ein Highlight für sich darstellte, standen drei Bands bei jeweils vollen Häusern stellvertretend für die ganze Farbenpracht und Schönheit des Jazz.

Es mag auch der Reiz des Unbekannten sein, des bisher noch nicht Gehörten, wie beim Birdland-Debüt der in London lebenden nigerianischen Altsaxofonistin Camilla George, der einem Besuch im Keller den ganz besonderen Zauber verleiht. Die 36-Jährige mischt ihrer Performance unaufdringlich, aber unüberhörbar eine klare politische Botschaft bei. Dabei serviert sie ein pulsierendes Gebräu aus Groove, Afrofuturismus und Hip-Hop und besticht durch ihr unglaublich kraftvolles, ideenreiches Spiel. Radikal in der Aussage, vermittelnd im Kontext: Wenn George Titel wie „Abasi Enyong“, „How Nehemiah Got Free“ oder „The Most Useful Slave“ präsentiert, ist das kein überfallartiges Ego-Statement, sondern eine einladende Botschaft. Ihre organisch aufeinander abgestimmte Band fräst sich durch die Themen wie ein mächtiger Pflug, legt aber dabei eine erstaunlich akkurate Detailschärfe an den Tag. Über allem thront Camilla George mit ihrem robusten, klaren, kompromisslosen Ansatz, den sie mit großer Luft auf verblüffende Weise zu fließenden, fast weichen Konturen verbindet. So viele Bravo-Rufe gab es im Birdland schon lange nicht mehr!

Nochmal ein Altsaxofon, diesmal allerdings mit Lorenz Hargassner von einem Mann bedient, gibt es tags darauf beim Auftritt des Quartetts Pure Desmond. Dabei steht, wie der Name schon verrät, die Musik des Dave-Brubeck-Kumpels Paul Desmond, der am Montag, 25. November, 100 Jahre alt geworden wäre, im Mittelpunkt. Der in Hamburg lebende Österreicher führt im Stile eines Moderators durch die Lebensgeschichte Desmonds, kurzweilig, launig, anregend. Dazwischen serviert er mit seiner Combo musikalische Häppchen aus dem Fundus des Meisters. Die schmecken cool, manchmal auch süffig wie ein trockener Martini: „Line For Lyons“, „Bossa Antiqua“ oder das neblig-gehauchte Saxofon-Solo in „Scarborough Fair“, bei dem Hargassner zeigen kann, wie meisterlich er sein Instrument beherrscht. Natürlich gibt es auch „Take Five“, den von Paul Desmond komponierten, größten Jazz-Hit aller Zeiten – ohne Piano zwar ein wenig drucklos, aber für das Publikum ein Wohlfühlmoment. Eine populäre Geburtstags-Hommage auf dem Ticket eines Jazzstars, das Allermeiste eng am Original angelehnt. Selbst der Sound des Altsaxofons.

Jung, frisch und voller Elan dann der am Samstagabend live übertragene Schlussakkord durch das Quartett des Münchner Pianisten Luca Zambito. Eine in sich stimmige Viererbande, die ihre ansteckende Spiellust, ihre kollektive Energie und ihre fröhliche Selbstverständlichkeit in aufregende kompositorische Landschaften umzuwandeln versteht. Diese tragen obskure Titel wie „Verschlimmbesserung“ oder „Solarsturm“, überraschen aber durch ihre Zugänglichkeit und kommen trotz vieler harmonisch-rhythmisch strukturierter Passagen sowie des freien Zusammenspiels auf den berühmten Punkt. So soll Jazz 2024 klingen! Und bitte auch beim 15. Birdland Radio Jazz Festival im kommenden Jahr. Zum kleinen Jubiläums wird es, so verrät Manfred Rehm in der Livesendung, um den legendären Pianisten Oscar Peterson gehen, der 1991 die Vorauswahl für den Bösendorfer-Flügel im Hofapothekenkeller traf.