13. Birdland Radio Jazzfestival 2023 | 20.11.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Es sind immer wieder neue Anläufe, die Ware „Jazz“ an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen. Dass es sich dabei nicht um Sonderangebote für den schnellen Genuss oder trendige Shots handelt, die man eben mal schnell im Vorbeigehen mitnimmt, wissen Manfred Rehm, Roland Spiegel und Uli Habersetzer – Letztere Moderatoren des Bayerischen Rundfunks (BR) – nur zu genau. Und so grenzt es fast an ein Wunder, wenn der Birdland und der BR nun schon zum 13. Mal in Folge ihr gemeinsames „Kind“, das Birdland Radio Jazz Festival, im Keller des Jazzclubs und im Audi Forum Ingolstadt voller Stolz präsentieren.

Ein Festival mit acht Konzerten, ein vitaler Querschnitt durch traditionelle und moderne Strömungen, allesamt gut besucht, absolut im Trend, politisch, aber nie belehrend, anregend, jedoch nur selten aufdringlich, von den Radiomachern aus München in bester Tonqualität aufgezeichnet und zeitversetzt gesendet. Nimmt man noch die vierstündige Livesendung aus dem ersten Stock der Hofapotheke dazu, die am vergangenen Samstag auf BR Klassik und ab Mitternacht auf Bayern 2 ausgestrahlt wurde, so wirft dies einmal mehr ein helles Licht auf die Bedeutung der Kulturstadt Neuburg und der europaweit bekannten Jazz-Insel im Birdland.

Eines stach in diesem Jahr besonders hervor: der gewachsene Frauenanteil bei den Liveacts. Die exaltierte Altsaxofonistin Lakecia Benjamin setzte an ihrem 41. Geburtstag mit einem selbstbewussten und denkwürdigen Gastspiel eine in jeder Hinsicht auffällige Duftmarke, während das herrlich innerliche Doppelkonzert mit der Altsaxofonistin Carolyn Breuer und der Pianistin/Sängerin Andrea Hermenau sowie der Pianistin Clara Haberkamp, die mit dem jungen Trompeter Jakob Bänsch einen kongenialen Partner an ihrer Seite wusste, eher leisere, aber nicht minder nachhaltige Akzente setzte. Einer der besten Jazz-Momente, die je im Museum Mobile des Audi Forums Ingolstadt über die Bühne gingen, erlebten die Fans mit US-Größen beim Tribut anlässlich des 100. Geburtstages von Thad Jones, während der tschechische Gitarrist Libor Šmoldas und der amerikanische Pianist Ted Rosenthal feinen, nuancierten Trio-Jazz boten.

Dass das dreitägige Finale des 13. Birdland Radio Jazz Festival allerdings mit einer geballten Ladung Testosteron in Gestalt zweier viriler Saxofonisten begann, ist mitnichten ein Widerspruch. Gerade diese Form des freundschaftlichen Miteinanders zeigt auf, wie sehr sich der Jazz tatsächlich weiterentwickelt hat. Dabei hat es bei Leuten wie dem Tenorsaxofonisten Eric Alexander und dem Altsaxofonisten Vincent Herring immer den Anschein, als wäre sie in Wirklichkeit keine Jazzmusiker, sondern Kapitäne einer Zeitmaschine. Jede Millisekunde erinnert an die goldene Zeit der Blue Note Hardbop Sessions der 1960er-Jahre, als der Jazz noch ein Fanal für Freiheit und Rassengleichheit war. Lang, lang ist’s her? Nicht im Birdland! Die fünf Musiker vitalisieren eine alte, aber wirksame Formel, die gerade jetzt wieder hilfreich sein kann. Neben episch langen Soli der Saxofonisten sticht aber besonders einer mit seinem spritzigen, wie Champagner perlenden Spiel hervor: der sagenhafte Pianist Micke LeDonne, bei dem Stücke wie „Encounter“ oder „Save Your Love for Me“ zu genussvoll groovenden Entdeckungsreisen mutieren.

Die Überraschung in einem sowieso schon abwechslungsreichen Festivalprogramm bot dann tags darauf die hinreißende Performance des prominent besetzten Quintetts Stream des Posaunisten Christophe Schweizer. Wobei der Terminus „Stream“ mitnichten Assoziationen zum beschaulichen Mainstream wecken soll! Hier geht es um Energie pur, urwüchsige Kraft, die sich wie bei einem Vulkanausbruch jeden kleinsten Spalt sucht, um an die Oberfläche zu gelangen, um Klangexplosionen wie Gischtkronen, für die sich Schweizer, der Tenor- und Sopransaxofonist Sebastian Gilles, das wunderbar in die Motorik der anderen Instrumente greifende Klavier von Florian Weber, und der feurige Bass von Jones Westergaard kunstvoll ineinander verkeilen. Spiritus Rector ist freilich die unglaubliche Drum-Legende Joey Baron, der von Swing bis Rock, von ungeraden Metren bis Polyrhythmen, von hämmerndem Beat bis flauschigen Besenvierteln und sogar einem Solo mit den bloßen Fingern alles draufhat. Besonders krass: Während die vier Begleiter einen tonalen Lavastrom direkt ins Auditorium laufen lassen, wild und ungeordnet, hält Baron stoisch das Schiff auf einem imaginären Groove-Kurs. Wahnsinn!

Zwei starke Frauen führen am Schlusstag im ausdrucksstarken Quartett Mother Regie: die Sopran- und Tenorsaxofonistin Louise Volkmann und die Bassistin Athina Kontou. Vor einem vor allem wegen der Liveübertragung fast ein wenig zu überdrehtem Publikum verwebt Kontou dabei klassische griechische Volksmusik, traditionelle Tänze wie „Baiduska“ oder „Leventikos“ mit der Improvisationskultur des Jazz sowie einer gewissen Flexibilität und Fantasie im Umgang mit dem Material.

Das kommt gut an, vor allem, weil die Band nicht um jeden Preis solistische Duftmarken setzen will, sondern alles in den Dienst eines kompakten, bündigen Ensembleklangs stellt. Mitunter auch ein Aspekt, der bei Frauen im Jazz heute stärker wiegt als bei Männern – und eine erfrischende Umdeutung der alten Verhaltensmuster bedeutet.