Jesse Davis Quartet | 19.01.2018

Donaukurier | Karl Leitner
 

Ist es möglich, Geschichten zu erzählen, ohne ein Wort zu sagen? Es ist eine hohe Kunst, aber Jesse Davis, Altsaxofonist aus New Orleans, beherrscht sie. Wehmütige, fröhliche, sinnliche, ausgelassene und natürlich Geschichten voller Liebe bietet er seinem Publikum an diesem Winterabend im Birdland-Jazzclub, den er gerade noch rechtzeitig erreicht hat, nachdem er wegen Orkantief Friederike geschlagene 24 Stunden in Fulda festgesessen hatte.

Davis leistet sich den Luxus, mit einer seiner intimen, wunderschönen Balladen ins Konzert einzusteigen. Besser gesagt, er schleicht sich mit „Pray Thee Be Free“ hinein in den Abend, bescheiden, ohne große Geste. Er sondiert erst einmal die Lage, dann kommt – passend zur Witterung – „Beyond The Storm“ und dann, ja, dann reiht sich ein Kleinod ans nächste. Das packende „Juicy Lucy“ von Horace Silver, das eigene „Innuendo“, „Blue Autumn“ und „It’s Just Farewell“.

Ziemlich schnell wird klar: Davis hat einen ziemlich starken Bezug zu den musikalischen Traditionen seiner Heimatstadt und sieht seine Aufgabe darin, sie in den Modern Jazz zu „übersetzen“. Und er liebt des Blues. Das ist für einen Geschichtenerzähler natürlich von Vorteil. Als ginge ihm das Herz über, quellen und sprudeln die Töne nur so aus seinem Instrument heraus. Mit ihm jubelt er, jauchzt er und ist voller Lebenslust, mit ihm drückt er Trauer aus und Wehmut, mit ihm schwelgt er in Erinnerungen.

Seine Band spürt ganz genau, um welche Story es bei den einzelnen Stücken geht. Es ist überaus interessant zu beobachten, wie Claus Raible am Klavier, Martin Zenker am Kontrabass und Minchan Kim am Schlagzeug das harmonische Fundament als Basis betrachten, um von dort aus Davis‘ Geschichten zu kommentieren, dann und wann sogar ein neues Kapitel hinzuzufügen und sie somit weiter zu erzählen. Martin Zenker erweist sich in dieser Hinsicht als besonders mutig, Claus Raible geht die Sache eher „verspielt“ an, und Minchan Kim sorgt mit je nach Bedarf federleichtem bis durchaus bodenständigem Puls für die optimale Erdung. Es gib Momente während dieser zwei Stunden, da stellt sich Gänsehaut ein. Auch Davis selbst scheint von der Atmosphäre im Club sichtlich beeindruckt. Als er sich für die freundliche Aufnahme im Birdland bedankt, für die Begeisterung beim Publikum, da ist das mehr als Höflichkeit. Man sitzt nahe genug dran an ihm, um das zu bemerken.

Am Ende verlässt er mit strahlendem Lächeln die Bühne, umarmt seine Fans und schüttelt allen die Hand, die ihm begegnen auf dem Weg zur Garderobe. – Manchmal ist ein Konzert auch für den Künstler eben doch mehr als lediglich ein aus ökonomischen Gründen zu absolvierender beruflicher Termin. Schön, wieder mal daran erinnert worden zu sein.