Antonio Farao Trio | 12.11.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Das Jazzpiano wird ständig neu erfunden. Liebliche, romantische Läufe kommen, verschwurbelte Cluster gehen, plötzlich ist kultiviertes Hämmern „in“, um kurz darauf von schrillen Synkopierungen überholt zu werden. Der Trend fährt Zickzack, vor allem bei jüngeren Klavierspielern, die sich fast zwanghaft abstrampeln, in dieser schonungslos ausgebeuteten Goldgrube des Jazz noch ein paar winzige, unentdeckte Nuggets zu finden.

Irgendwann stellen jedoch alle fest, dass es eigentlich nichts mehr gibt, was nicht schon irgendwo, irgendwie einmal gespielt worden wäre. Und dann klappen sie entweder den Pianodeckel zu oder aber lassen es wie Antonio Farao lockerer angehen. Der Mailänder Rising-Star, nun auch im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zu Gast, weiss längst, dass er sich bei all seinem Talent nur als kunstvoller Restaurator, denn als kühner Entdecker einen Namen machen kann. Wie der 33jährige jedoch aus den überlieferten Mosaiksteinchen eines Bill Evans, den wuchtigen Skulpturen eines McCoy Tyner oder der schillernden Klangfarbenpalette eines Keith Jarrett ganz behutsam und ohne den Ruch eines Plagiats seinen eigenen Stil zusammenbosselt, das zeugt von großer Klasse und Weitsicht.

Farao pickt sich nur das Beste aus den reichen Errungenschaften seines Genres heraus und schafft es, selbst mit einem vorurteilsüberladenen Mainstream-Pianotrio jeden Atem stocken zu lassen. Da agiert mehr ein Meister der subtilen Stilisierung, als ein Zauberkünstler der technischen Überredung, ein Nachfahre all seiner großen Vorbilder. Die rechte Hand spielt verwinkelte, imaginäre Saxofonlinien, die linke steht für Luft und Lücke. Da beginnt selbst eine Pause zu grooven.

Am liebsten zerhackt der Norditaliener Evergreens wie mit einem Atomstrom-Meissel, schleudert und kommentiert die Partikel in einer Art von fröhlichem Wahnsinn mit Bocksprüngen und Schleifspuren durch sämtliche Register der Tastatur. Tiziols „Caravan“ ist so ein Titel, Monks „Mysterioso“ ein anderer. Die ungezügelte südländische Spielwut verträgt selbst grauere Zwischentöne, die wie Spinnweben zwischen seinen chromatischen Überwucherungen hängen („Basel“), triolische Phrasierungen, pedalreiche Flächen und modale Schluchten.

Damit Europas erdverbundene Alternative zu Brad Mehldaus pianistischem Nirwana dort nicht jäh hinabstürzt, knüpfen der New Yorker Super-Bassist Michael Formanek und die Nürnberger Drum-Hoffnung Dejan Terzic ein virtuoses Sprungtuch aus frei fluktuierenden Rhythmen und straightem Swing. Die messerscharf-präzise, penibel-demokratische Abstimmung der drei bildet die Basis für einen Freiflug in den Bereich intelligenter, moderner Kollektivimprovisationen. Und die anschließende Landung fällt trotz zweier Zugaben für das begeisterte Publikum sowie die erschöpften Musiker weniger hart aus, als bei den Darbietungen der Konkurrenz. Immerhin weiß man bei Antonio Farao ja, dass sie garantiert auf dem Boden der keineswegs harten Tatsachen erfolgt.