Ahmad Jamal | 30.05.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Kann das sein: ausgerechnet ein Bösendorfer als Stolperstein für das Konzert des Jahres? Bei Ahmad Jamal ist alles möglich. Selbst das beste „Birdland“-Stück verwandelt sich dank des ihm vorauseilenden Rufes urplötzlich in ein Damoklesschwert, das bedrohlich über dem hochkarätigen Jubiläumsprogramm schwebt.

Der Piano-Superstar gilt als mürrischer Exzentriker und überzeugter Steinway-Künstler, der angeblich schon weitaus namhafteren Auftrittsstätten, ohne einen einzigen Ton anzuschlagen, den Rücken kehrte, nur weil er dort nicht seinen Lieblingsflügel vorfand. Aber wie so oft trägt die Wahrheit im Neuburger Jazzclub auch diesmal wesentlich unverkrampftere Züge. Jamal spielte nach kurzem Zögern – und er spielte in der Tat ein grandioses, ja ein umwerfendes Konzert!

Daß sich der Trendsetter für eine ganze Tastenkünstler-Generation keinen Deut um Prinzipien scherte, mag vor allem an der besonderen Atmosphäre des drangvoll engen Kellers unter der Hofapotheke gelegen haben. Trotz (oder gerade wegen) des ungewohnten Instrumentes gestattete sich die Legende aus Pittsburgh dort einen rauschhaft-selbstvergessenen Trip auf ein längst verloren gelaubtes Terrain voller Blues-Funk-Grooves, schwindelerregender Tempiwechsel und delikat-vertrackter Improvisationen, der mit knapp zweieinhalb Stunden jedes bislang gültige Maß an Intensität sprengte.

Wie Ahmad Jamal aus dem immergrünen „C`Est Si Bon“ ein Feuerwerk an chromatischen Läufen zaubert, wie sich seine retardierende Linke punktgenau stets mit einer Zehntelsekunde Verspätung hinter dem Beat der donnernden Rhythmuscrew Idris Muhammad (Schlagzeug) und James Cammack (Baß) herschleppt, wie er hinreißend die Spannung der Bluestunes erhöht, sie zum Abflauen bringt, um dann eine weitere Runde mit seiner prickelnd trillernden Rechten aufzurollen; das transportiert schlagartig das Feeling von dessen legendärer „At The Pershing“-Platte nach Neuburg. Im Publikum atmet alles langsamer, keiner bewegt sich. Es scheint eine Art atmosphärisches Vakuum zu entstehen.

Doch der heute 68jährige besaß schon immer ein besonderes Näschen für Innovationen. Mit dem Steeldrummer Othello Molineaux hat Jamal sein spektakuläres Triokonzept höchst zeitgemäß erweitert. Nicht etwa der Rhythmus erfährt hier eine Potenzierung, sondern vielmehr die Palette der Klangfarben. Molineaux läßt seine Steeldrum erstaunlich virtuos singen, tönt nie klischeehaft karibisch, sondern eher boppig-avantgardistsich, übernimmt häufig die Melodieführung und walzert sogar unisono mit des Chefs Piano durch die Jazzliteratur.

Der Dynamikguru, der Alleinherrscher über alle Jazzrhythmen und -harmonien, genießt das seltene Privileg, sich nach langer Karriere keinesfalls selbst kopieren zu müssen. Alles klingt bei ihm so frisch und neu, als wäre es just für diesen Abend erfunden worden, sogar die wunderschönen Balladen mit den hingehauchten Tupfern, den großen Pausen. Ahmad Jamals grandiose Ökonomie gebiert in Neuburg knisternde Spannung. Und dem „Birdland“ eine echte Sternstunde in seiner an Ereignissen reichen 40jährigen Geschichte.