Charlie Haden – Kenny Barron | 01.06.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Eigentlich eine Oase für den eingefleischten Jazzer, die sich da momentan in Neuburg auftut. Beinahe im Tagesrhythmus treten dort die schillerndsten Figuren der Jazzgeschichte auf die Bühne des kleinen Kellers unter der Hofapotheke und adeln das „Birdland“ anläßlich seines 40. Geburtstags endgültig zum swingenden und boppenden Mekka Bayerns.

Gestern noch Ahmad Jamal, einer der wichtigsten Pianisten dieses Jahrhunderts, heute Charlie Haden und Kenny Barron, das mit Abstand begehrteste Jazzduo des Gegenwart – bei einer Anhäufung solch erlesener Events, die locker jedem internationalen Festival zur Ehre gereichen würde, besteht freilich auch die Gefahr, daß sie vom Publikum irgendwann mal nur noch als Normalfall, und nicht als spektakuläre Ausnahme zur Kenntnis genommen werden.

Schließlich verdienen es Haden/Barron schon von ihrem künstlerischen Ansatz her, daß man sie in aller Form als die Wiederentdecker einer zwischenzeitlich achtlos beiseite gelegten Schönheit in der Musik feiert. Fans aus ganz Bayern kamen denn auch zum einzigen Deutschland-Gig der beiden amerikanischen Superstars in die Ottheinrichstadt und untermauerten den Stellenwert dieses Events, der zu jeder Sekunde hielt, was die vor allem durch das Traumalbum „The Night And The City“ geschürten hohen Erwartungen versprachen.

Die Renaissance der behutsamen Tupfer, des mild Hingehauchten, der großen, atemlosen Pausen – 18 Jahre nach Bill Evans` Tod gibt es mit Charlie Haden und Kenny Barron plötzlich wieder einen echten Gegenpol zur schmerzhaften Schnellfeuermusikszene. Abseits jeder Belanglosigkeitsphilosophie lassen sich die modernen Traditionalisten mitten hinein in einen Strudel glitzernder, anmutiger Melodien treiben: „Spring Is Here“, „You Don`t Know What Love Is“, aber auch Songs, die es nicht auf der gefeierten CD zu hören gibt, wie „Round Midnight“ oder „Softly As In A Morning Sunrise“. Ein Drummer wäre hier nur störend, selbst wenn er noch so federleichte Besenviertel beimengen würde.

Bei Charlie Haden, dem Ornette-Coleman-Vertrauten und politisch engagierten Pionier am Kontrabaß, spürt jeder im mucksmäuschenstillen „Birdland“, daß ihn die bröckelnde Schönheit von Großstadtsilhouetten schier verzehrt. Ihm gegenüber, versunken in den dunklen Reflexen der Nacht, sitzt Kenny Barron, der Wunderpianist. Sein grandioser Anschlag erzeugt Bilder, die sich unaufdringlich jedem individuellen Wunsch anpassen.

Hereinspaziert ins Ohrenkino. Es gilt, eine Karte für einen Film zu erstehen, der in New York, Chicago, Hongkong, Paris oder auch in Berlin spielen könnte. Regen prasselt auf Rinnsteine und Abwasserleitungen, Dunst steigt aus der Kanalisation auf. Es ist dunkel verwirrend, merkwürdig, schwarz. Haden und Barron wandeln durch diese Traumwelt, modellieren ihren ganz persönlichen Soundtrack aus fein swingenden, gänsehauterzeugenden Harmonien voller komplexer Winkelzüge.

Wenn die schummrigen Lichter schwächer werden, wenn sich der zum Himmel aufsteigende Dunst nach zwei frenetisch beklatschten Zugaben auflöst, dann bedeutet dies noch längst nicht das Ende dieser bahnbrechenden Musik. Sie bleibt unauslöschbar im Kopf, jederzeit abrufbar, weit über den Nachhauseweg hinaus.