Schöne Erinnerungen behalten ihren Zauber, solange man sie ruhen läßt. Wenn jemand freilich ein Stück Vergangenheit einfach in die Gegenwart verpflanzen will, zerplatzt der Traum vom rekonstruierbaren Glück spätestens dann, wenn man zu vergleichen beginnt: ist es wirklich so wie früher?
Dabei sind es doch fast die selben Beteiligten, und in punkto Ambiente kann der diesmal ausverkaufte Neuburger „Birdland“-Jazzclub mit dem inzwischen geschlossenen Münchner Lokal „Allotria“ sowieso locker mithalten. Die guten Freunde von damals sitzen ebenfalls wieder auf den besten Plätzen, schwärmen enthusiastisch von jener Sternstunde, in welcher die „Three Generations Of Tenorsaxophone“ vor mehr als 13 Jahren zum absoluten Glücksfall nicht bloß für den Münchner oder den deutschen, sondern sogar für den gesamten Jazz emporstiegen.
Drei Tenorsaxophone von Weltrang lieferten sich in jenen Januartagen 1985 auf offener Bühne schwindelerregende Battles von exzessiver Länge und gingen damit unauslöschlich in die Analen dieser Musikgattung ein. Daß die Supergruppe anläßlich der gerade erschienenen CD-Veröffentlichung ihres legendären Events wieder gemeinsame Sache macht und vor ihrem Gig beim Nürnberger „Jazz Ost-West“-Festival ausgerechnet in Neuburg ihr bühnenmäßiges Wiedersehen feiert, stellt an sich schon eine kleine Sensation dar.
Das Kölner Riesentalent Paul Heller ersetzt den zwischenzeitlich verstorbenen Sal Nistico, doch allein der verbliebene Rest verspräche bereits eine geballte Ladung unwiderstehlich-druckvollen Straight-Ahead-Jazz. Johnny Griffin etwa, der wichtigste Hardbop-Saxophonist der Jazzgeschichte nach Sonny Rollins. Oder der Schweizer Roman Schwaller, rühriger Initiator des Projektes und weit über die europäischen Grenzen hinaus einer der profilliertesten Vertreter seines Instrumentes.
Aber nach altbekannten Themen wie „Rue Chaptal“ oder „Chutney“ scheint eines klar: die Zeit läßt sich eben doch nicht beliebig zurückdrehen. Schwaller wirkte im „Birdland“ nicht bloß wegen des stark im Mid-Tempo angesiedelten Programms sonderbar zurückhaltend, ja fast zögerlich, wobei er freilich selbst mit gedrosselter Kraft problemlos das Gros der Saxophonträger abhängen kann. Heller erledigte seine Aufgabe mehr als nur zufriedenstellend und setzte mit scharf konturiertem Ton viele überraschende Akzente. Jedoch erreichte der Youngster logischerweise nie ganz die Bissigkeit eines Sal Nistico, der den drei Generationen ihren unverwechselbaren Stempel aufdrückte.
Einzig Johnny Griffin erfüllte die hochgesteckten Erwartungen und knüpfte nahtlos dort an, wo das Märchen von den „Drei Tenören“ einst endete. Mit beinahe 70 bestimmte der erklärte Hohepriester des Tenors diesmal die Dramaturgie des Abends fast im Alleingang. Zusammen mit der präzise und grandios swingenden Rhythmusgruppe um Thomas Stabenow (Baß), Mario Gonzi (Schlagzeug) sowie Oliver Kent (Piano) zog der „Little Giant from Chicago“ jedes verfügbare Register. In seinem segelnden, offenen Balladenton („When We Were One“) bündeln sich die Erfahrungen eines ganzen Jazzerlebens, während schwitzend-rauhe, flink konstruierte Soli voller innerem Feuer einmal mehr Griffins Ruf als schnellsten Saxophonisten der Szene untermauerten.
Gespaltenes Publikum: für die Unvoreingenommenen war es ein aus dem Rahmen fallendes, absolut anregendes Konzert, für die Nostalgiker dagegen ein zwar nicht enttäuschender, dafür aber leicht ernüchternder Zeitsprung. Beinahe so, als träfe man nach einer halben Ewigkeit seine erste große Liebe wieder.