Mark Nightingale – Dado Moroni Quartet | 09.05.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Britische Jazzer mit ihren Volksvertretern in einen Topf zu werfen, wäre ein unverzeihlicher Fehler. Denn während der europäische Gedanke beim Gros der Inselpolitiker literweise Angstschweiß erzeugt, läßt die Musikergilde seit geraumer Zeit munter alle trennenden Grenzen purzeln. Gerade in London keimt seit den 60er Jahren stetig eine kreative, multikulturelle Allianz, die trotzig aufzeigt, daß anspruchsvolle U-Musik keinesfalls als Erbhof der USA zu gelten hat, sondern auch in der sogenannten alten Welt einen erstaunlich guten Nährboden vorfindet.

Aus der fast schon programmatischen Offenheit solcher Abenteuer entstehen dann Konstellationen wie diese: je zwei Instrumentalisten aus „Good Ol` Britain“ und „Bella Italia“ verschmelzen zu einer heftig swingenden, emminent global tönenden Einheit. Im Neuburger „Birdland“ Jazzclub jedenfalls schien die Überraschung über die Reife des „Euro-Quartetts“ um den englischen Posaunisten Mark Nightingale, seinen Landsmann Mark Taylor an den Drums, den aus Genua stammenden Pianisten Dado Moroni und den Bassisten Rosario Bonaccorso, dessen Name ebenso wohlig klingt, wie sein großtönendes, geschmackvoll-virtuoses Spiel, am Wochenende durchaus beachtlich.

Keine Spur von Nord-Süd-Gefälle, von nationalen Eitelkeiten oder billigen Kopierversuchen selbsterkorener Helden. Nightingale, Moroni, Taylor und Bonaccorso beseitigen überzeugend jeden Zweifel über ihre Integrität gegenüber der Sache „Jazz“. Klar: jeder der vier entdeckte die Liebe zum Bebop einst allenfalls indirekt über Platten oder Konzerte und nicht in seinem unmittelbaren kulturellen Umfeld. Nur wie sich Engländer, Italiener oder andere Nationalitäten heute mit dieser uramerikanischen Musik auseinandersetzen, verdeutlicht nachhaltig die radikale Veränderung einiger einst als unverrückbar geltender Parameter.

Es muß nicht immer Kansas-City-Sound sein, wenn ein vielseitig begabter Posaunist wie Mark Nightingale Bob Brookmeyers Standard „Daisy“ intoniert. Flüssig, mit starken Bindungen an die Tradition, aber auch vielen kontrapunktischen Variationen, die ein tiefes Interesse an großen europäischen Neuerern wie Mangelsdorff oder Kai Winding verraten, findet das Talent aus London einen eigenen, originellen Weg. Ohne seine immense Beherrschung des Instruments könnte es sich Nightingale freilich kaum erlauben, mit warmem, blauen Ton den Jazzwalzer „How`s The House“ aufzupäppeln, um kurz darauf im gehetzten Blues „Fleet“ mit „low-down“-Growls oder in der Ballade „Who Can I Turn To“ mit lang ausgehaltenen Noten markante Kontraste zu setzen.

Dado Moroni, der brillante, sensitive Techniker, ist auch so einer: funky, mit harter rhythmisch prägnanter Blockakkordik und einem Zitatenschatz, der mitunter wie ein fröhliches Quiz aus dem „Realbook“ des Jazz anmutet. Unverkennbar jedoch sein Hang zu modalen Schlenkern, zum Wechsel der Melodieführung auf die linke Hand und in leisen Nummern zum fast klassischen Aspekt. Der Genuese dröselt all seine Soli raffiniert in verschiedene Tempi und wechselnde Tonarten auf, wobei er ausgerechnet in dem unauffälligen, aber dosiert agierenden Schlagzeuger Mark Taylor das ideale Metronom für eine durchgehende, nachvollziehbare Linie vorfindet.

Ein konzertantes Aha-Erlebnis von der ersten bis zur letzten Sekunde, das vor allem eines lehrte: guter Jazz entsteht inzwischen überall auf der Welt.