Clark Terry | 12.09.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Der Tag ist nicht sicher!)

Es beschleichen einen ganz zwangsläufig zwiespältige Gefühle, wenn irgendwo mal wieder Veranstalter eine „lebende Legende“ ankündigen. Jeder halbwegs betagte Künstler bekommt inzwischen diesen marktschreierischen Ehrentitel umgehängt, doch die allerwenigstens von ihnen erfüllen die damit verbundenen, fast überirdischen Erwartungen.

Daß diese Unsitte vor allem im Jazz immer skrupelloser um sich greift, paßt einem wie Clark Terry ganz und gar nicht. Der aus St. Louis stammende Trompeter duldet keine Aura des Unberührbaren um sich herum. Er will, wie bei seinem jüngsten Konzert im restlos ausverkauften Neuburger „Birdland“-Jazzclub, eine stabile Brücke zum Publikum bauen, auf der Musik einfach erlebbar daherkommt und dennoch auf hohem Niveau zu unterhalten weiß.

Trotz seiner 78 Jahre fühlt sich Terry, einst tragende Säule der Bands von Duke Ellington und Count Basie, nie zu alt, um live eine authentische Mischung aus jungem, temperamentvoll-treibendem Swing und elegischer Ballade anzurühren, die sogar 1998 noch so zeitlos frisch wirkt, als hätten Charlie Parker und Miles Davis gerade erst mit ihrer Revolution des Jazz begonnen. Nichts deutet auf ein bevorstehendes Verfallsdatum seines markanten Trompetentones hin, ganz gleich, ob er nun im geschwinden Uptempo die Bebop-Nummer „Tippin`“ entlangreitet oder den angegrauten Edelstandard „The Days Of Wine And Roses“ mit einem herrlich süffigen Solo zu neuem Glanz verhilft.

Clark Terry kann ohne Kommandoton eine Band führen und ihr dabei alle Freiheiten einräumen, was ihm der imponierende Altsaxophonist Dave Glasser, der feingeistige Pianist Don Friedman, die überraschend straight trommelnde Schlagzeugerin Sylvia Cuenca sowie der wuchtige Bassist Marcus McLaurine mit brillanten Einwürfen danken. Und er besitzt vor allem Humor, würzt seine Shows mit feinstem Entertainment („…hello, my name is Herb Alpert“), fernab jeglicher Beliebigkeit oder gar des Klamauks.

Klasse seine varietéereife Anreihung von dirty notes, low down growls und Phrasierungsakrobatik, superb sein persönliches Stimmungsgefühl auf dem Flügelhorn. Der Schalk am Schalltrichter bedient all die Ansprüche, die seit Jahrzehnten an ihn gerichtet werden, ohne sich freilich je bewußt in den Mittelpunkt des Ganzen zu rücken. Dieser bleibt nämlich einzig und allein der Gesamtwirkung „seiner“ Musik vorbehalten, zu deren Optimierung der Grandsegnieur sogar den unter den Zuhörern weilenden Weltklassetrompeter Dusko Gojkovic auf die Bühne holte und mit ihm eine hinreißende Jam-Session voller Esprit abzog.

Die warme, ehrliche Freude über den Augenblick, das bewußte Leben der Gegenwart, welches den larmoyant-nostalgischen Blick auf die Vergangenheit völlig ersetzt – exakt darin besteht der Unterschied zwischen den sogenannten lebenden Legenden und dem Unikat Clark Terry.