Dave Brubeck Quartet | 09.06.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Was gibt es an Dave Brubeck noch zu entdecken? Zum dritten Mal innerhalb eines Jahrzehnts lädt das Pianogenie nun schon zur konzertanten Audienz in der Region. Doch im Vorfeld überwiegen nach zwei routiniert-hausbackenen Gastspielen bei den Ingolstädter Jazztagen 1989 und im vergangenen Jahr in Pfaffenhofen eher die gemischten Gefühle.

Brubeck, die Jazzlegende, stets in Gefahr, sich selbst zu kopieren. Oder: der Workaholic mit unverkennbaren Abnutzungserscheinungen – man läge garantiert falsch, die durchwachsenen Vorstellungen der Vergangenheit derart oberflächlich zu analysieren. Wer weiß denn schon, daß der 78jährige bei jedem der genannten Konzerte mit nicht unerheblichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte?

Als vielleicht kaum jemand mehr damit rechnete, gab es jetzt in Neuburg, wo er als Stargast den Höhepunkt der 40-Jahr-Feier des „Birdland“-Jazzclubs im Stadttheater setzen sollte, endlich doch noch jenen Dave Brubeck, den die Fans so sehr schätzen und lieben. Weniger wegen Neuburg, weil dort alles in Sachen Jazz sowie anders läuft. Daß der Abend zu einem echten Erlebnis geriet, lag ausschließlich am Maestro selbst, der sich diesmal in wirklich blendender Form vorstellte, frei von jedwedem körperlichen Handicap und offenkundig beseelt von einer überaus markanten Besetzungsänderung in seinem Quartett.

Seit dem Tod seines kongenialen Partners und „Take Five“-Komponisten Paul Desmond hatte sich der US-Star gescheut, den vakanten Bläserpart mit einem Altsaxophon zu besetzen. Stattdessen arbeitete der Pianist lieber über viele Jahre hinweg mit dem relativ farblosen Klarinettisten Bill Smith zusammen, sogar noch im vergangenen Jahr in Niederscheyern. Nun, 20 Jahre später, scheint das Desmond-Trauma definitiv überwunden. Der neue Mann an Dave Brubecks Seite heißt Bobby Militello und bringt der Combo diesen herrlich trockenen, beinahe klassischen Alto-Sound zurück.

Militello tut hörbar gut, den sichtlich aufgekratzten Etablierten Jack Six (Kontrabaß) und Randy Jones (Schlagzeug), dem Leader sowie dem Auditorium. Am Saxophon versucht der Desmond-Nachfolger erst gar nicht, in die Fußstapfen des Vorgängers zu treten, sondern formt stattdessen lieber mit sicherer Kontrapunktik eigenständige soft-fließende, manchmal heiße Phrasen, gelegentlich unterbochen von einer ästhetisch-cool geblasenen Querflöte.

Die Frischzellenkur ähnelt einer Zeitreise zurück in die 50er. Was damals galt, ist heute wieder aktuell: keine steifen Fracks als Auftrittskleidung, sondern legere Anzüge, prickelnde Kompositionen mit reichlich Latin- und Boptouch wie „Fourth Of July“ oder die Homage auf die amerikanische Grand Dame des Jazzpianos „Marian McPartland“ aus der neuen CD, etüdenhafte Balladen sowie Brubecks launige Conference. Der Mann, der den Walzer zum Jazz brachte, spannt einen weiten pianistischen Bogen von lyrisch-rapsodischen Träumereien über chromatische Akkorde, Experimente mit ungeraden Takten bis zu heiterem Shuffle und bluesigem Stride.

Die größte Überraschung vermittelt freilich der sattsam bekannte Megahit „Take Five“: fast avantgardistisch kommt er daher, das elektrisierende Thema allenfalls kurz streifend, mit frenetisch gefeierten Wahnsinnssoli von Militello und Jones. Das Publikum im ausverkauften Neuburger Stadttheater reagiert am Schluß mit Standing Ovations, dankbar für die Erkenntnis, daß es in der Tat bei einer Legende wie Dave Brubeck nach über fünf Karrierejahrzehnten noch eine ganze Menge zu entdecken gibt.