Albert Mangelsdorff – 75. Geburtstag | 05.09.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Nein, despektierlich ist es bestimmt nicht gemeint. Eher hilflos vor lauter Bewunderung und irgendwie dem Zwang ausgeliefert, für Albert Mangelsdorffs unerreichtes Kunststück, zum geblasenen Ton noch einen zweiten dazuzusummen und dabei einen Oberton entstehen zu lassen, das passende Sprachbild zu finden.

Einige Male hat Mangelsdorff in diesen Tagen schon von Journalisten aufgetischt bekommen, was der amerikanische Psychoanalytiker Miles D. Miller einst Sonderbares über die Posaune fabulierte: „Ihre Klänge ähneln sehr stark gewöhnlichen Körpergeräuschen wie Rülpsen, Magenknurren und Blähungen.“ Das soll also möglichst originell sein Spiel beschreiben. „Na ja,“ sagt Albert achselzuckend. „Wenn einer sagt, die Posaune gibt menschliche Geräusche von sich, dann stimme ich dem schon zu. Insofern, weil sie der menschlichen, speziell der gesungenen Stimme sehr ähnlich ist. Aber Körpergeräusche, na ja…“

Firlefanz und blumige Alegorien, wie sie anlässlich seines heutigen 75. Geburtstags wie Unkraut aus dem Blätterwald schießen, mag Albert Mangelsdorff überhaupt nicht. Und eine  in der Vergangenheit immer wieder   benutzte Bezeichnung hasst er sogar: „Ich bin nicht der Posaunen-Weltmeister. Das ist Quatsch!“ Obwohl es irgendwie doch stimmt. Als einer der ganz wenigen deutschen Jazzmusiker besitzt sein Name nämlich in den USA selbst heute noch einen spektakulären Ruf. Mit seinen Solodarbietungen und seiner legendären Mehrstimmigkeit, den Multiphonics, verblüfft der Musiker aus dem alten Europa seit den 70ern selbst jene, die gemeinhin für sich das Recht in Anspruch nehmen, den Jazz erfunden zu haben. Mangelsdorff gewann 1980 den Down-Beat-Critics-Poll, was quasi die Krone in der Disziplin Posaune bedeutet.

Nach zwei stürmisch bejubelten Solo-Tourneen durch die USA hatte er zeitweise sogar überlegt, dorthin überzusiedeln. Doch der bodenständige und stets bescheidene Hesse blieb dann doch seiner Heimatstadt treu. Schließlich gehört der Name „Mangelsdorff“ zu Frankfurt wie Römer, Paulskirche, Ebbelwoi und Deutsche Börse. Der große Grübler nach dem tiefen Ton, dem „Canto jondo“ auf der Posaune, der Vogelfreund, Natur-Mystiker und absolute Individualist hat sich auch hier zu Deutschlands bedeutendstem Jazz-Botschafter weltweit entwickelt.

Ohne Mangelsdorffs Erfolge, aber auch sein Engagement hätte sich wohl kaum eine gesunde Jazzszene in Deutschland-West entwickeln können. Zur Verbesserung der Lage seiner Kollegen gründete er Musikerorganisationen und Selbsthilfeunternehmen, leitete lange Zeit eines der bedeutendsten nationalen Festivals, das Jazzfest Berlin, und gab in unzähligen Workshops jedes Quäntchen seines Wissens weiter, das andere aus Futterneid meist verteidigen wie einen Schatz.

Das Geburtstagskind ließ sich in seiner fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere nie in eine stilistische Schublade einordnen. Vom Bebop über den Free Jazz bis zum Jazz-Rock begleitete er nahe alle Epochen.

Weil ihm viele der aktuellen Berühmtheiten erst ihre Karriere verdanken, steigt am 12. September eine rauschende Geburtstagsparty in der Alten Oper. Dabei geben nahezu alle ein Ständchen, die im deutschen Jazz Rang und Namen haben. Auch das United Jazz & Rock Ensemble, mit dem Mangelsdorff in den 80ern und 90ern ganze Hallen füllte, hat sich zu seinen Ehren wieder formiert.

Ironie des Schicksal, dass ausgerechnet dieses mithin kommerziellste Projekt des experimentellen Klangtüftlers die größte öffentliche Beachtung fand. Und irgendwie auch exemplarisch für das Schicksal von Jazzmusikern. Als einer der wenigen kann Albert Mangelsdorff von seiner Musik leben. Reich geworden ist er jedoch nicht damit nicht. Über 50 Mal jährlich muss er deshalb weiter auf die Bühne klettern und virtuose menschliche Geräusche produzieren. Auch mit 75.