The Almost Big Band, feat. Randy Brecker | 21.10.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es ist schon was dran an der alten Binsenweisheit, dass es nicht immer auf Größe ankommt.

Erst im September, da gastierte eine Big Band im Audi-Forum, die war locker doppelt so groß, aber nicht einmal halb so druckvoll. Typ Straßenkreuzer mit 50 PS eben, geruhsam dahinzuckelnd, jede Aufregung und Hektik meidend. Jetzt an gleicher Stelle die „Almost Big Band“: ein Konglomerat von Dänen, die das Erbe des bis zu seinem Tod 1999 in Kopenhagen lebenden amerikanischen Posaunisten Ernie Wilkins verwalten. Nicht „almost“, sondern volle Kanne! Ein Formel-Eins-Bolide, der es mit allem und jedem aufnimmt, rau, heftig, druckvoll, mitreißend. Oder besser: Danish Dynamite. Und eine Wohltat für alle, die an den Unwägbarkeiten, Ecken und Kanten des Jazz ihren Spaß finden.

Wilkins, der mit diesem Klangkörper nicht zuletzt auch seinen latent ignoranten Landsleuten zeigen wollte, dass das gewisse Etwas des Jazz keineswegs nur auf Amerika beschränkt sein muss, hätte gerade an dem Ingolstadt-Gastspiel dieser putzmunteren Wikinger seine helle Freude gehabt. Die „Beinahe-Big Band“ polarisiert ganz bewusst. Sie portioniert die immense Klangfülle eines Orchesters in hauchdünne Scheiben und luftige Schattierungen und offenbart dabei eine geradezu sensationelle Fähigkeit zur Differenzierung. Das Pendel schwingt virtuos zwischen laut und leise, köchelnd und dezent, nuanciert und wuchtig. Die daraus entstehende Spannung drückt jeden buchstäblich in den Sitz, unablässig tippelnde Beine inbegriffen.

Da wäre die hochexplosive, adrenalinhaltige Version von „Well you needn`t“: Sie verkörpert schlicht die Ultima Ratio dessen, was sich aus Thelonious Monks Bebop-Klassiker herausholen lässt. In Dizzy Gillespies „Con Alma“ feuert die Hornsection Bläsersätze ins Publikum, die es von ihrer Schärfe problemlos mit jeder Rasierklinge aufnehmen könnten. Und „Arrival“ aus der Feder des Piano-Geheimtipps Horace Parlan, der wie viele Jazz-Emigranten zum Dänen auf Zeit mutierte, erfährt in den Händen der „Wilden 13“ eine nie da gewesene Farbenpracht.

Beeindruckend die immense instrumentale Potenz von Jens Winther (Trompete), Christoffer Møller (Piano), Jesper Lundgaard (Kontrabass) und Leader Per Goldschmidt (Baritonsaxofon), erfreulich die hohe Frauenquote in einem Genre, in dem normalerweise die Männer den Ton angeben. Sowohl Lea Nielsen und Lis Wessberg (beide Posaune) wie auch Christina von Bühlow (Altsaxofon) reihen solistische Perlen im Überfluss zu einer faszinierenden Klangkette aneinander.

Primus inter pares ist aber ohne Zweifel Randy Brecker. Der ältere der legendären Brecker Bothers, mehrfach Grammy geadelt und mit allen Wassern des Jazz und Rock gewachsen, versteht es auf seiner Trompete wie kein Zweiter, die Sprache des Bop mit dem Slang moderner funky Fusion-Rhythmik zu bündeln. Ein Gänsehauterlebnis erster Güte, nicht bloß wegen seiner fast spielerischen Beweglichkeit im High-Note-Bereich, sondern vor allem wegen Breckers hoher Kunst, in einem Thema samt goldenem Horn restlos aufzugehen.

So etwas geht aber auch an die Substanz. Selbst durch die Ovationen des aus dem Häuschen geratenen Publikums lassen sich die Jazzdänen höchstens zu einer Zugabe bewegen. Ein bewegendes, abrupt endendes, viel zu kurzes Konzert. Und deshalb: Nur „almost“ ein unvergesslicher Abend.