Im Orchesterkosmos nimmt die Bratsche nicht gerade einen Spitzenplatz ein. Es gibt über Bratschisten jede Menge wenig schmeichelhafter Witze. Tenor: An diesem Instrument arbeiten sich eher die musikalischen Kleinmeister und die nicht ganz so hellen Köpfe ab. Derlei widerfährt Geigerinnen, Cellisten, Bassisten oder Oboisten selten.
Martin Stegner, Bratischst bei den Berliner Philharmonikern und zugleich ein wilder und witziger Jazzer, hat zum Auftakt der Neuburger Barockkonzert 2025 im Birdland-Keller bewiesen, dass all die Bosheiten über seine Zunft blanker Unsinn sind. Im Trio mit dem herausragenden Gitarristen Paulo Morello und Peter Nitsch am Kontrabass sorgte Stegner für einen erfrischenden und mit musikalischen Geistesblitzen gewürzten Abend.
Man könnte Martin Stegner einen teuflisch guten Bratschisten nennen. Technische Kabinettstücken, wildeste Arpeggien rauf und runter über die vier Saiten, betörend ausgekostete Melodien, solches Können ist bei einem Mitglied des Berliner Weltklasse-Orchesters zu erwarten. Wichtiger an diesem Abend aber ist die unbändige Freiheit, im besten Sinne auch Frechheit, die Lust an der leichtfüßigen Grenzüberschreitung zwischen Barock, Jazz und Brazil-Touch.
Schon die Besetzung mit Bratsche, Bass und Gitarre ist gelinde gesagt ungewöhnlich. Die Verbindung der drei musikalischen Welten, der spannenden Dialog – der nicht immer ein wirklicher Dialog, sondern auch mal ein versonnenes, für sich stehendes Selbstgespräch ist – setzt einen zusätzlichen Reiz. So entsteht ein Live-Erlebnis der aufregenden Art.
Die drei Akteure machen da aus einem berühmten „Arioso“ von Johann Sebastian Bach schwupp di wupp einen Bossa Nova. Das lyrische Thema verwandelt sich in neue Welten, Bratsche und Gitarre nehmen die Herausforderung an, mutig und sehr frei. Aber der sehr spezielle Jazz-Barock-Latin-Bach verliert sich nie in der Beliebigkeit. Das Trio hat einen Plan, der großes Vergnügen bereiten kann.
Neben den brillanten Akteuren an der Gitarre und auf der Bratsche hat es der Bassist nicht leicht. Peter Nitsch legt sich mit großer Vitalität ins Zeug, er setzt trocken-witzige Kommentare zu den verwegensten Eskapaden seiner beiden Mitstreiter und geht sogar rasende Unisono-Passagen eine kleine Wegstrecke mit. Bei der berühmten Bourree aus der 3. Solosuite für Cello führt er das Thema so sonor ein, dass man meint, da hätte er den Bogen genommen und nicht nur gezupft. Aus dieser Bourree wird eine verblüffende Reise, vom Vertrauten geht es in einen ganz fremden Sound, in scheinbar verlassene Gefilde, aber auf wundersame Weise löst sich die Spannung auf, das Lächeln der Jazzer zeigt an, dass sich ein gefährlicher Höhenflug wieder sicherem Grund nähert.
Das mitzudenken und mitzuhören, ist ein Geschenk. Bei den feurigen Eigenkompositionen von Paulo Morello wird diese Qualität fast körperlich spürbar. Der Brasil-Move geht in Herz, Hirn und Beine, die rasanten Tonkaskaden entführen in eine verlockende Welt, mit schwebender Leichtigkeit.
Die Komposition 7:1, an das legendäre Fußballspiel in Belo Horizonte erinnernd, ist ein großer musikalischer Spaß, ebenso das Stück „Cooking at the Birdland“, das Morello dem Birdland-Chef Manfred Rehm gewidmet hat. Nicht nur wegen dieser noblen Geste gibt es Ovationen des Publikums. Das war eine starker Auftakt zu den Barockkonzerten 2025.

