Lisa Wulff Quartet | 04.03.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Da ist er wieder, dieser weiche, samtene und doch so markante und kraftvolle Ton des Kontrabasses, den nur ganz wenige Vertreter dieses Instru­ments so makellos hinbekommen. So wie zum Beispiel Lisa Wulff, die man zuletzt als Sidefrau in der Band des gro­ßen Rolf Kühn im Birdland bewundern konnte.

Im vergangenen Jahr hatte sie ja – ex­perimentierfreudig, wie sie es in ganz besonderem Maße ist, wenn sie einer ei­genen Band vorsteht – das Album „Sen­se And Sensibility“ vorgelegt, darauf erstmals als Sängerin reüssiert und dabei eine ganz hervorragende Figur abgege­ben. Überraschenderweise verfolgt sie diesen stilistischen Seitenweg beim erneuten Konzert im Birdland aber in keinster Weise weiter, sondern bevorzugt statt dessen den Weg zurück zur Haupt­straße ihrer Karriere und spielt nahezu ausschließlich Stücke des Vorgängeral­bums „Beneath The Surface“ von 2020. Was das Konzert nicht zu einer Enttäu­schung macht, nein, ganz und gar nicht, aber doch erstaunlich ist.

„Beneath The Surface“ also. „Unter der Oberfläche“. Ja, dort brodelt es in musi­kalischer Hinsicht in der Tat recht heftig, dort liegen, zuerst recht gut abgeschirmt, aber doch bald deutlich seismografisch ortbare Magmamassen, die jederzeit und unerwartet ausbrechen könnten. Wenn sie das tun, sind dafür in erster Linie Ga­briel Coburger (Tenor- und Sopransaxo­fon) und Silvan Strauß am Schlagzeug verantwortlich, denn sie stacheln immer wider die Glut an, drängeln sich vor, wenn es gilt, die imaginäre Grenze zwi­schen Mainstream und Modern in den dafür vorgesehenen Kompositionen Wulffs zu ignorieren, neu zu definieren, den Weg am Grat zu verlassen und aus­zubrechen.

Es gibt feinsinnige, fast liebliche Melo­dien, zum Beispiel bei „Walking Distan­ce“ und „When I Took A Walk“, es gibt die Subtilität der wunderschönen Ballade „Throw Your Cap Over The Mill“ über das Bauen von Luftschlössern, aber es gibt eben auch die eruptiven Ausbrüche, die wilden Eskapaden. Einerseits sind da die wohltuenden Grooves der Bandlea­derin, die der absolut souveräne Frank Chastenier am Flügel so treffend kom­mentiert, andererseits wird die Sache durch die gelegentlichen Befreiungs­schläge des agilen Drummers und des fintenreichen Saxofonisten erst so richtig spannend.

Bei „Columbus“ und „M.B. Ride“ kommt schließlich der Sopranbass zum Einsatz, eine im Vergleich zum her­kömmlichen Bass um eine Oktave höher gestimmte, elektrisch verstärkte Variante in Form einer Gitarre, die man bislang eher mit Jaco Pastorius und Stanley Clarke in Verbindung brachte als mit Lisa Wulff. Dass diese beiden Stücke wegen des ihres im Vergleich zum Rest­programm veränderten, kraftvolleren Sounds ein wenig in Richtung Fusion tendieren, verwundert nicht. Auch die Zugabe, in der wie mit einem Dimmer ständig die Geschwindigkeit erhöht und gleich darauf wieder abgesenkt wird, passt zum Konzept, für das Lisa Wulff derzeit steht, ganz gleich, ob sie nun singt oder nicht, ein Konzept, in dem Berührungsängste schlichtweg keine Rolle zu spielen scheinen.