Gee Hye Lee Trio | 05.03.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Das aktuelle Album der in der südkoreanischen Metropole Seoul geborenen und seit langem in Stuttgart lebenden Pianistin Gee Hye Lee trägt den Titel „What Matters Most“. Worauf es am meisten ankommt? „Auf das Le­ben im Heute“, sagt die Musikerin, die ab ihrem dritten Lebensjahr eine klassi­sche Ausbildung am Klavier erhielt und sich seit 1993 mit Jazz beschäftigt. „Weil keiner weiß, ob es morgen noch möglich ist.“

Worauf es ihr speziell an diesem Abend im Birdland am meisten ankommt, sind natürlich die Stücke besagter CD, die es gilt, in die Livesituation zu übersetzen, vor Publikum zu interpretieren. Zudem auf blendende Technik, einen makello­sen Anschlag, auf musikalischen Ge­schmack, Ästhetik, Empathie und Ein­fühlungsvermögen, auf das richtige Ge­spür für die angemessene Umsetzung von persönlichen Empfindungen und Er­fahrungen in Musik wie bei „Care (A Voice For The Voiceless“), worin es um Tierschutz geht, über einen Rückzugsort in „A Cottage On An Isle“ oder der Ver­beugung vor einem ihrer ganz persönli­chen Helden, dem Filmkomponisten En­nio Morricone in „Ennio“.

Sie genieße die künstlerischen Freihei­ten, die der Jazz ihr biete, sagt sie, aber sie liebt auch das melodische Spiel, das Solieren innerhalb eines abgesteckten Rahmens. Querschüsse und abenteuerli­chen Gegenentwürfe um ihrer Selbst wil­len sind nicht ihr Ding. „What Matters Most“ umfasst nämlich auch den Aspekt des Wohlfühlens. Hier, jetzt in diesem Augenblick, an diesem Abend im Bird­land. Das schließt hohen künstlerischen Anspruch selbstredend mit ein, denn auf oberflächlicher Ebene läuft während die­ser zwei Stunden im Kellergewölbe un­ter der ehemaligen Hofapotheke keine einzige Sekunde ab.

Das liegt auch an Joel Locher am Kon-trabass und Mereike Wiening am Schlag-zeug. Beide sind gute Bekannte im Bird­land. Im aktuellen Fall tragen sie Gee Hye Lee förmlich zum Erfolg. Locher liefert den samtenen Unterbau und findet in dieser Formation endlich die Gelegen­heit zu zeigen, welch großer So­list er auch ist. Mareike Wiening ist ein­mal mehr ein Musterbeispiel dafür, mit wel­cher Eleganz, welcher Leichtigkeit und wie mühelos und doch ungemein diffe­renziert man Stücke jedweder Beschaff­enheit mit federnden Beats unterle­gen kann. Sicherlich ist sie eine der wichtigs­ten Vertreterinnen des „Instru­ments des Jahres“ im Bereich des Jazz hierzulande.

Auch der Humor kommt bei Gee Hye Lee nicht zu kurz. Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen nicht. In Anlehnung an einen der großen Klassiker des Jazz heißt eines ihrer Stücke nämlich „My Funny Quarantine“. Und mit der Aus­wahl von Kenny Wheeler’s „Everybody’s Song But My Own“ und Stevie Wonder’s Uptempo-Ballade „My Cherie Amour“ setzt sie auch noch ein dickes Ausrufe­zeichen hinter die Kategorie „Wie covere ich auf besonders eindrucksvolle Weise Stücke anderer Musiker?“ – Worauf es am meisten ankommt? Ja, diese Band weiß es an diesem Abend ganz genau. Dass sie mit diesem Konzert etliche neue Fans für sich hinzugewonnen hat, ist am Ende offensichtlich.