Lisa Wulff Quartet | 04.03.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

So kann nur eine junge Band klingen. Energetisch, druckvoll, ständig auf höchstem Level agierend und pausenlos auf dem Sprung, selbst bei den etwas milderen Balladen. Für die Bassistin Lisa Wulff, die viele als Begleiterin von Klarinetten-Legende Rolf Kühn kennen und ins Herz geschlossen haben, sowie ihre Komplizen scheint die Rückkehr ins Neuburger Birdland wie eine Art befreiendes Ventil nach langer Live-Pause zu sein. Klar, Corona. Aber die 31-jährige Hamburgerin wurde zudem vor einigen Wochen Mama und drängt nun, einem inneren Ruf folgend, mit Macht wieder auf die Bühne. Das Konzert im Hofapothekenkeller ist eines der ersten nach ihrem „Comeback“, und entsprechend spielfreudig und inspiriert agieren Wulff und ihre drei Mitstreiter.

Eines wird schnell klar: Lisa Wulff ist eine Meisterin darin, musikalische Farben freizulegen, die sich unter der kompositorischen Oberfläche verbergen, und Klangflächen aus dem Nichts heraus zu erschaffen, auf denen es mal heftig swingt und dann nach wenigen Sekunden wieder atonal rumpelt. Genau genommen setzt jedes Stück neu an, so dass sich ein vielgestaltiger Horizont aus Stimmungen und Statements ergibt; in der Summe eine sehr eigensinnige Angelegenheit. Und wenn man landläufige Erwartungen an Musik richtet und alles am liebsten nach Genres sortiert hätte, dann geraten diese 100 Minuten ohne Pause zu einem durchaus hybriden Gebilde. Also kein typisches „modernes“ Jazzkonzert, bei dem die Toleranzgrenze des Publikums mit jedem Ton ausgelotet wird, aber auch kein klassischer Wohlfühlabend mit bekömmlichen Rhythmen und Harmonien.

Rund und zentriert wird es dann, wenn Lisa Wulff zum Sopranbass greift. Das Wort scheint einen kleinen Widerspruch in sich zu enthalten. Aber es ist einfach der Name eines Instruments. Wenn die Bandleaderin, die im gegenwärtigen Jazz sonst eher als Kontrabassistin unterwegs ist, ihn spielt, klingt der Sopranbass weich wie eine Gitarre mit Darmsaiten, und er ermöglicht viele Soundeffekte, die die innere Weiträumigkeit der Musik unterstreichen. Manchmal operiert sie dabei mit technischen Effektgeräten wie dem Octaver, der klanglich einem Synthesizer ähnelt. In „M. B. Ride“ zum Beispiel, einem Stück, das heftig funken und grooven könnte – wenn denn ein Keyboard dabei gewesen wäre. Stattdessen trägt Gabriel Coburger die Hauptlast des Sounds, ebenfalls an einem Sopran-Instrument, nämlich dem entsprechenden Saxofon. Coburger bläst hitzig und elegisch, treibt die Temperatur in bester Coltraneʼscher Manier bis zum Siedepunkt. Irgendwann schmerzt diese heftige Eruption fast körperlich und deckt vor allem den wunderbar lyrisch agierenden Pianisten Frank Chastenier zu, von dem man gerne etwas mehr gehört hätte.

Der hat seinen großen Moment im dunkel strahlenden „Nightmares And Daydreams“, eingeleitet von einem hinreißenden Bass-Intro. Viel zu selten aber kommt Chasteniers einzigartige Gabe zum Vorschein, Geschichten auf den 88 Elfenbeintasten erzählen zu können. Was möglicherweise auch am überlauten Schlagzeuger Silvan Strauß liegt, dem scheinbar nicht immer bewusst ist, in einem kleinen, intimen, noch dazu nicht ganz gefüllten Raum zu agieren. Auch Lisa Wulff selbst genießt das Zusammenspiel mit ihren Kollegen augenscheinlich, kann sich aber akustisch nicht immer gegen diese gebührend in Szene setzen. Die Abstimmung und das Zusammenspiel zwischen den vieren passen diesmal schlichtweg nicht.

Die Zugabe versöhnt wie meistens ein bisschen. Eine quicklebendige, monkische Bluesform mit Hardbop-Sprenkeln legt schlussendlich doch noch das Potenzial des Quartetts frei, das angstfrei und facettenreich musizieren kann und stets bereit ist, ein hohes Risiko einzugehen, um nur ja nicht auf den Pfaden des populistischen Mainstreams abzudriften. Aber vielleicht passt gerade die Berg- und Talfahrt eines solchen Konzertes in eine Zeit, in der niemand – schon gar keine Musikerin und kein Musiker aus dem Jazzgenre – wüsste, was demnächst kommt und wie das alles weitergehen soll.