Völlig in sich versunken wehrt Tom Harrell Alles ab, was von außen an ihn dringen könnte. Kopf und Blick bleiben tief gesenkt, kein Kontakt zur Außenwelt, wie abgekapselt. Sein Spiel jedoch wirkt wie eine Offenbarung. Denn an seinem Instrument erweist sich Harrell als einer der facettenreichsten Trompeter aller Zeiten. Gemeinsam mit einer auserlesenen Band gab er im Birdland Jazzclub in Neuburg eines seiner seltenen Konzerte.
Von überall her waren sie angereist, die Jazzkenner und Fans, darunter ein namhafter Trompetenkollege aus dem süddeutschen Raum, der denn auch aus seiner Begeisterung keinen Hehl machte. Dem Publikum im Birdland bescherte Tom Harrell einen wirklich großen Jazzabend, wie ihn selbst eingefleischte Stammgäste nur wirklich selten erleben. Dabei ist der 59jährige gezeichnet von schwerer psychischer Krankheit, leidet seit fast 40 Jahren heftig an einer Schizophrenie, die ein gut Teil seiner Konzentration und Lebenskraft absorbiert. Um so staunenswerter, was der Mann auf der Trompete zu Wege bringt. Ansatz und Sound, Time und Phrasierung, Melodiosität und Linienführung, Attacke und Lyrik, Highnotes und Schmeichelei, das ganze Spektrum modernen Trompetenspiels im weiten Feld zwischen Chet Bakers Lyrizismen und Freddie Hubbards Feuergirlanden ist in Harrells Spiel präsent, scheint auf der Basis des Bebop-Innovators Clifford Brown die gesamte Geschichte der Jazztrompete in einer Person zu vereinen, besitzt dazu noch die unverkennbare Eigenständigkeit einer großen individuellen Persönlichkeit. Die Ehrfurcht gebietende spektakuläre Technik wird sehr überlegt und ökonomisch genutzt, nie virtuos zur Schau gestellt, immer bewusst eingesetzt und fein abgestimmt im Dienst der musikalischen Aussage. Mit seiner ausgezeichneten Band verbindet Harrell das Vertrauen einer langjährigen Zusammenarbeit. Kaum eine Formation dürfte so bruchfrei aus dem Wurzelgeflecht des Hardbop unter völlig organischer Einbeziehung des freien Jazz der 60er einen derart kräftigen Sproß in die Gegenwart setzen. Struktur, Soul, komplexe Harmonik, emanzipiertes Interplay mit weich fließenden wie eruptiven Phasen, eine Band, die wie aus einem Guss spielend die Persönlichkeit jedes einzelnen Mitwirkenden konturengenau herausarbeitet. Und von wegen, Soli im Jazz seien perdu: Die fünf Musiker zelebrieren förmlich ihre ausgedehnten Exkurse, allesamt klug durchdacht mit weiten Spannungsbögen und passgenauer Intelligenz, sei es Jimmy Greene mit seinem kraftvoll offensiven Tenorsaxophon, Danny Grissett mit akzentuierter Eloquenz am Piano, Ugonna Okegwo mit stets klar definierten Bewegungen am Bass oder Neal Smith am Schlagzeug mit straight und differenziert herausgearbeitetem Groove. Immer wieder schwebt darüber der berückende Ton der Trompete. Und bei der Zugabe wirkt dann auch Tom Harrell richtiggehend fröhlich, lebhaft, völlig losgelöst.