Tom Harrell Quartet | 20.01.2017

Donaukurier | Karl Leitner
 

Tief in sich selbst versunken und scheinbar völlig unbeteiligt steht Tom Harrell auf der Bühne. Er bewegt sich kaum. Aufgrund einer psychisch bedingten Erkrankung, die ihm schon lange schwer zu schaffen macht, lebt er phasenweise in einer ganz eigenen Welt. Eine Möglichkeit, Nachrichten an seine reale Umgebung zu senden, scheint seine Musik zu sein. Als Trompeter und Flügelhornist des Mainstream- und Modern Jazz genießt er einen hervorragenden Ruf. Seine Kompositionen öffnen ihm Türen, mit ihnen und der Art, wie er sie im Konzert interpretiert, drückt er sich aus.

Kurz vor Konzertbeginn hat er sich verletzt und eine Platzwunde zugezogen. Im ersten Stück des Abends im Birdland, der deswegen mit leichter Verspätung beginnt, zeigt er sich davon noch beeindruckt, dann aber scheint dieses Malheur vergessen. Strahlend, rein und klar ist sein Ton, als er zusammen mit Ralph Moore am Tenorsaxophon das fanfarengleiche Thema von „Storm Approach-ing“ vorstellt. Harrell spielt kraftvoll, findet immer wieder höchst originelle Linien in seinen Improvisationen, dirigiert sein Quartett, auch wenn es den Anschein hat, er falle, sobald sein Part vorüber ist, wieder zurück in die tranceartige Ausgangsposition.

Die Soli sind übersichtlich angeordnet, die Beiträge Harrell‘s, Moore‘s, des Bassisten Ugonna Okegwo und des Schlagzeuger Adam Cruz reihen sich linear aneinander, Dialoge sind wegen Harrells Zustand schlicht nicht möglich. Dafür freilich entschädigen seine Kompositionen, etwa die Suite „Don Quichote“ kurz vor der Pause, ein nahezu komplett auskomponiertes und eigens für diese Besetzung geschriebenes, ungemein spannendes Stück Musik, das auf höchst beeindruckende Weise verschiedene Richtungen anreißt und sich am Ende wunderschön rundet.

Bass und Schlagzeug liefern einen dicht gewobenen, über weite Bereiche herrlich straighten und zugleich leichten und luftigen Rhythmusteppich, beim Klassiker „Body And Soul“ hingegen, einem weiteren Highlight des Abends, bleiben das Flügelhorn und der Kontrabass ganz für sich und das schwer beeindruckte Auditorium hält quasi kollektiv die Luft an, bevor eine sehr persönliche Interpretation von Duke Ellington’s „Caravan“ den Abend beschließt.

Tom Harrell ist nicht nur ein herausragender Instrumentalist, – viele sehen in ihm einen der führenden Trompeter seiner Generation –  sondern auch in anderer Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung innerhalb des Jazz. Wie er trotz widriger Lebensumstände immer wieder neue Projekte ins Leben ruft, regelmäßig tourt und um die Welt reist, seine treue Anhängerschaft mit Livekonzerten wie dem im Birdland beglückt – davor kann man nur ganz tief den Hut ziehen. Wenn bei irgendjemand die Floskel „Die Musik ist sein Leben!“ zutrifft, dann bei ihm.