Der hinreißende Klavierstil von Thilo Wagner ist oft als „höllisch swingend“ beschrieben worden. Da ist was dran. Dieser Spitzen-Pianist aus Stuttgart kann einen schon auf den Gedanken bringen, das gehe doch mit dem Teufel zu – wie er aus einfachen Melodien und bekannten Arrangements vertrackte, verzaubernde,verblüffende Glanzlichter des Swing aufblitzen lässt.
Man könnte freilich auch von „himmlisch swingend“ sprechen. Der massige Mann am Klavier gibt seinen musikalischen Geniestreichen auch in den wildesten Tonkaskaden eine wunderbar schwebende Leichtigkeit, einen sphärischen Charakter, abgehoben von aller Erdenschwere. Thilo Wagner ist groß im Kleinen, und er ist ein Magier der leisen Töne.
Der Mann verbindet Präzision im Rhythmus, tiefes Gefühl in seinen Balladen und selbstverständliche Virtuosität mit musikalischen Witz. Aus dem Nichts heraus streut er (manchmal raffiniert verfremdete, manchmal sofort erkennbare) Zitate aus der großen Blues-Tradition ein. Dann registriert er den „Ah, das kenn ich doch-Effekt“ im Publikum mit einem spitzbübischen Lächeln – und ist musikalisch schon wieder ganz woanders. Der Mann erfreut seine Zuhörer nicht nur, er fordert sie auch.
Diese Leichtigkeit des musikalischen Seins überträgt Thilo Wagner auch auf seine vorzüglichen Triopartner Gregor Beck (Schlagzeug) und Jean-Philippe Wadle am Bass. Die drei feinen, bei allem virtuosem Glanz eher zurückhaltenden Vollblutmusiker liefern nicht nur eine Folge von tollen Soli ab, sie gefallen sich nicht selbst oder wollen dem Publikum allzu sehr gefallen. Das Thilo Wagner Trio macht swingende Kammermusik, hoch konzentriert.
Das Bassist Jean-Philippe Wadle entlockt seinem Instrument samtene Töne voller Emotion. Und er weiß, wie spannend gerade die Piano-Passagen sein können. Das ist die hohe Kunst, aus wenig viel zu machen. Die Welt des Piano hat es auch dem Schlagzeuger Gregor Beck angetan. Dieser Mann an den drums, der viele Jahre mit einem Weltstar wie Chris Barber um den Globus getourt ist, hat natürlich alles drauf – auch die fetzigen, ekstatischen Knalleffekte. Aber Gregor Beck setzt diese Blitzlichter klug dosiert ein, er lässt sich nicht fortreißen zu einem lautstarken Blendwerk.
Kammermusikalische Qualität eben. Wie das klingt – betörend und spannend – zeigt sich am schönsten an zwei Jazz-Balladen aus den 60-er Jahren: „Shadow of your smile“, der Titelsong aus einem Film mit Liz Taylor und Richard Burton, und die Nummer „Edelweiß“ von Richard Rogers aus einem berühmten US-Songbook. Beide Nummern sind nicht mehr oft zu hören, Thilo Wagner drückt sich mit der Bemerkung „das spielt heute keine Sau mehr“ deutlich genug aus. Vielleicht deshalb, weil man zum Beispiel „Edelweiß“ schon zu oft auf eine zu abgenutzte Art und Weise gehört hat.
Das mag ein Argument sein, das ja auch für klassische Schlager wie Mozarts Divertimento in G-Dur („Kleine Nachtmusik“) oder Schumanns „Träumerei“ zutrifft. Oder zutreffen kann. Aber all das gilt nicht, wenn man aus „Shadow of your smile“ und „Edelweiß“ so tolle Balladen macht wie es dem Thilo Wagner Trio gelingt. Die drei nehmen diese Musik ernst, sie bringen mit dem richtigen Swing Pep und Drive hinein. Und sie widerstehen allen Versuchungen, den schnulzen-affinen Elementen nachzugeben, die in diesen Nummern auch angelegt sind. Diese Musik ist mit Hirn, Herz und Hand gestaltet. Wobei das Hirn den anderen beiden im Zweifel sagt, wo es langgeht. Darauf kommt es an.