The Music of Attila Zoller | 22.05.2003

| Reinhard Köchl
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Der notorische Grantler und das schrullige Unikum: eine explosive Mischung voller prognostizierbarem Ungemach und schrill-dröhnender Begleitmusik. Jedes Mal wenn sich Joe Haider und Attila Zoller trafen, dann lud sich die Luft in Sekundenschnelle elektrostatisch auf, knirschte, rumpelte und donnerte es derart massiv, dass sich nicht selten alle Balken der gemeinsamen Bühne bogen.

Zwei Narzisse reinsten Wassers, selbstgefällig, zickig, bärbeißig, schroff, jeder mit einem sonderbar kauzigen Dialektmischmasch, das eigentlich gar nicht verständlich sein, sondern nur die eigene Einzigartigkeit zur Schau stellen wollte. Diese ganz besonderen Exemplare der Spezies „Homo Jazziens“ treffen sich nun plötzlich wieder – auf einer mentalen Zwischenebene irgendwo zwischen Diesseits und Jenseits.

„Wissen Sie, dass ich ohne den Attila nicht der geworden wäre, der ich heute bin?“ Joe Haider steht vor einem andächtig lauschenden Publikum im gut besuchten Ingolstädter Audiforum, dort wo er an diesem Abend mit einem hochkarätigen Septett das mutige „Immens“-Festival des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs und der Bernhard Riepl-Stiftung zu Ehren des 1998 verstorbenen Gitarristen Attila Zoller eröffnen soll. Der Pianist beichtet gerne öffentlich, das wissen seine Fans längst. Diesmal eben über den weltberühmten Saitenkönig aus Ungarn, den er, der Stuttgarter Milchbubi, 1957 erstmals traf und mit ihm spielte. Es wurde zum Fiasko. „Hör auf,“ soll Zoller geschrieen haben. „Du host ja ka Ohrwaschl!“

Das habe ihn mächtig gewurmt, erzählt Haider mit einer Mischung aus professioneller Abgeklärtheit und gut kaschierter Anspannung. Er wollte es diesem Kerl unbedingt zeigen, übte wie ein Besessener, ging zur Musikhochschule nach München und wurde Profi. „Nach acht Jahren haben wir uns wieder getroffen und ich hab`s ihm heimgezahlt. Seitdem sind wir Freunde.“ Der 67-Jährige sagt „sind“ – als ob sein alter Spezi noch direkt neben ihm stehen würde.

Dort aber bedient mittlerweile Helmut Kagerer die Gitarre, Attila Zollers erklärter Lieblingsschüler, und es klingt, als würde der Meister dem Regensburger unsichtbar die Hand führen. Schwierig, kantig, scheinbar immer ein wenig unfertig, antipopulistisch, aber überraschend wendig und ungeheuer ehrlich: Kagerers Soli besitzen eine ähnliche Struktur wie die seines Lehrers und schmiegen sich reißbrettgenau an die von Haider neu arrangierten Zoller-Kompositionen an.

Ein bunter, natürlich selektiver Strauß, in dem die „harte Kost“ aus der Avantgardezeit des „Hunnen“ völlig fehlt. Dafür schlägt des Bandleaders Herz einfach zu sehr im Hardbop-Takt. Dennoch wirken alle Nummern wie erwachsene Kinder Zollers, die Haider nun behutsam unter seine Fittiche genommen hat. „1000 Dreams“ zum Beispiel, die geschmeidige Samba mit einem schier überlaufenden Ignaz Dinné am Altsaxofon, oder „Homage to O. P.“ ein „Blues Grotesk“ mit verschachtelten Tempi, eckigen Intervallen, einem unwiderstehlich tief tönenden Thomas Stabenow am Bass, einem dunkel glimmenden Flügelhorn von Ralf Hesse sowie einem heftig flatternden Schlagzeug von Christian Salfellner.

Wie sehr es Joe Haider heute noch wurmt, dass er es zu Lebzeiten Zollers nie schaffte, richtig Danke zu sagen, offenbaren seine fast private Ballade „For Attila“ sowie das spritzige „Tante Nelli meets Attila Zoller“, mit dem sich der Schwabe am Klavier augenzwinkernd an die ganzen „Frauengeschichten“ des Weltmenschen an den sechs Saiten erinnert. Haiders Intro dazu klingt schwelgend, aber nie schwülstig, emotional, aber nie ausufernd, schön, aber nie pathetisch. Bis es in einer reißenden, ostinaten Figur mit Ohrwurmcharakter aufgeht und den Coltrane-Genen des einmal mehr formidablen Johannes Enders am Sopransax völlig freien Lauf lässt.

Und erstaunlich häufig lässt er, der geborene Selbstdarsteller, die Tasten einfach liegen, folgt Zollers Vorgaben, der sich von Pianisten oft überfahren fühlte, und lauscht bloß. Darauf, wie Kagerer die Milchstraßenballade „When it`s Time“ intoniert. Bei Haider heißt das in der Ansage halt „Wenn`s Zeit isch“. Sonderbar versöhnlich für einen angeblichen Griesgram.