The Heath Brothers | 26.03.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Drei Brüder völlig gegensätzlicher Natur, jeder für sich eine hochgeachtete Instanz in seinem Genre, machen nach Solokarrieren und einer kurzlebigen Kollaboration in den 70ern wieder gemeinsame Sache. Zweifellos ein Wagnis, aber ein kalkulierbares. Denn gerade ihr Familienname weckt allerorts Neugierde. Das Ganze mal drei verspricht bei den raren Europaauftritten, wie nun im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, gar ein Stück gelebte Jazzgeschichte auf einer Bühne, vom leichtfertig vergebenen Nimbus der Supergruppe ganz zu schweigen.

Eines vorweg: es war ein seltsames, allen gespannten Erwartungen völlig zuwider laufendes Konzert, das die „Heath Brothers“ ihren Fans da im restlos ausverkauften Hofapothekenkeller boten. Kein instrumentales Feuerwerk einer Ansammlung von Legenden, sondern eher ein gediegenes, kontrolliertes Musizieren erfahrener, gesetzter Herren, die genußvoll an der Süße des Moments nippen, wie an einem kostbaren Tropfen, anstatt diesen einfach nur schnöde hinunterzukippen. Vielleicht ist es erst mit der Reife des Alters möglich, brüderliche Harmonie richtig schätzen zu lernen und aus ihr diese besondere Form von entspanntem Jazz wachsen zu lassen.

Als Band zimmern sich Jimmy, Percy und Albert, unterstützt von dem jungen, wendigen Pianisten Job Patton, in auffälliger Wohlfühl-Atmosphäre Arrangements der unspektakulären Art zusammen. Der dezente Clou darin sind die kleinen, behutsam eingestreuten Farbtupfer, weil diese zum Zeitpunkt ihres Erscheinens einfach völlig unerwartet daherkommen. Wen die walzernde Version von Billy Strayhorns „Daydream“ unterschwellig an die edle Noblesse des „Modern Jazz Quartets“ erinnert, der liegt so verkehrt nicht damit.

Der 63jährige Tootie tippt die Becken des Schlagzeugs wie Glockenspiele an und reibt mit seinem Handteller derart fein über die Felle der Snare, daß die kratzende Hornhaut eine fast mystische Atmosphäre erzeugt. Unorthodoxe Rhythmik, die freilich auch einige Male ins Banale abgleitet, wie beim minutenlangen Tamborin-Gerassel im Intro zu „Winter Sleeps“. Selbst der blitzsauber phrasierende 72jährige Jimmy kann die Bluesnummer nicht mehr retten; sein Tenorsax klingt zwar stets elegant und schnörkellos, verfügt aber kaum mehr über die Eindringlichkeit früherer Hardbop-Geniestreiche. Am Soprano dagegen liefert der Studienkollege John Coltranes endlich den Nachweis für seine Ausnahmestellung. „Round Midnight“ offenbart erzählerische Qualitäten, atmet Intensität und Spannung.

Uneingeschränkter Krösus der Sippe ist an diesem Abend freilich Senior Percy, dessen verzwirbelt-krauser Vollbart schon immer so perfekt mit dem kunstvoll gedrechselten Kopf des Kontrabasses korrespondierte, wie seine Finger mit den dazugehörigen Saiten. Der 75jährige produziert Walking-Linien, die den Namen tatsächlich noch verdienen, und läßt mächtige, warme, delikate Töne lässig vom Steg abtropfen.

Dank seiner unauffälligen Dramaturgie bekommen die aufgefrischten Familienbande einen echten Sinn. Wenn Percy ausgelassen am Cello (!) zupft, Tootie fröhlich mit den Bürsten schrubbt, Jimmy dazu coole Licks durch sein Horn jagt und eine Bebop-Nummer plötzlich die Heimeligkeit einer Country & Western-Performance erreicht, weiß selbst der Letzte im „Birdland“, auf was es bei der interfamiliären Hausmusik der Heath wirklich ankommt: keineswegs auf den großen künsterlichen Ausdruck. Es geht nur um Unterhaltung, Spaß und grenzenlose Harmonie, allemal virtuos zelebriert. Auch so etwas liegt mitunter in den Genen.