The Dime Notes | 21.04.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Die vier Herren, die unter dem Namen The Dime Notes auf der Bühne des Neuburger Birdland Jazzclubs stehen und ihr Publikum auf eine geführte Gruppenreise mitnehmen, haben ein fest umrissenes Ziel. New Orleans und die Roaring Twenties inklusive eines Besuches bei Jelly Roll Morton als besondere Attraktion.

Boogie Woogie, Ragtime, Blues, Swing und Charleston stehen auf dem Tourprogramm unter der Führung des Klarinettisten David Horniblow, des Pianisten Sam Watts, des Kontrabassisten Louis Thomas und des Gitarristen Dave Kelbie, Musik also, die einst, zu Schellack-Zeiten, Unterhaltung für ein breites Publikum bot, zu der man tanzte und feierte. Heute, von all den zwischenzeitlichen Neuerungen und stilistischen Wandlungen innerhalb des Jazz völlig unbeeindruckt, fristet sie eher ein Nischendasein, ganz besonders in ihrer unverfälschten Form. Und doch ist sie immer noch publikumswirksam und kann Menschen begeistern. Die beiden lautstark eingeforderten Zugaben am Ende des Konzerts kommen ja keineswegs von ungefähr.

Nicht alles, aber vieles ist originalgetreu. Man kommt völlig ohne Strom aus, der Gitarrist ist, wie damals üblich, Teil der Rhythmusgruppe, spielt keine Soli und gibt mit stoischer Ruhe die Richtung vor, der Pianist beherrscht diverse Metiers wie Boogie, Stride und Barrelhouse und die Klarinette steht im Mittelpunkt. In den Vorkriegsjahren war sie im Jazz überaus präsent, bevor sie später nach in nach immer mehr von anderen Blasinstrumenten verdrängt wurde. Eine Sonderstellung bei The Dime Notes nehmen Louis Thomas und sein Kontrabass ein, denn in seinen Händen zeigt sich sein Instrument als solistisch emanzipiert und hat sich aus der Rolle des reinen Begleiters, die sie vor Oscar Pettiford noch innehatte, befreit.

Die ausführliche Beschäftigung mit den Kompositionen des wegweisenden Pianisten Jelly Roll Morton (1890 – 1941) hat natürlich seinen Grund, nämlich in Horniblow’s kürzlich veröffentlichtem Album „The Complete Morton Project“. Wenn es einen Spezialisten gibt, der ihn aus der Sprache des Pianos in die der Klarinette übersetzen kann, dann ist das vermutlich Horniblow, dessen technische Brillanz man bereits aus der Band von Chris Barber kennt. In Sam Watts hat er einen kongenialen Partner, mit dem nicht nur die Stücke Morton’s, sondern auch die von Zeitgenossen wie Red Nichols, James P. Johnson oder Jimmy Noone in altem Glanz neu erstrahlen. Dass bei der Konzeption der Setlist auch mittlerweile fast oder tatsächlich vergessene Perlen wie Leadbelly’s „Alabama Bound“, Fats Waller’s „Serenade For A Wealthy Widow“ oder Morton’s „Freakish“ wieder ausgegraben wurden, verleiht der Sache zusätzlichen Reiz.

Selbstverständlich erfinden The Dime Notes nicht das Rad des Jazz neu, stattdessen stöbern sie mit Sachkenntnis und Lust in nur selten geöffneten Kisten herum und bringen Schätze zum Vorschein, von deren Existenz man zwar mal gehört, mit denen man sich aber nicht wirklich ausführlich beschäftigt hatte. Es lebe also wieder mal die Nostalgie? – Zweifelsohne. Aber eben auch der wohltuende Blick zurück in eine musikalische Welt vor unserer Zeit.