The Big Chris Barber Band | 11.03.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Wie schlägt sich ein A 8 im Linksverkehr? Chris Barber, Engländer, Posaunist und Leader der ältesten europäischen Jazzband, wird auf diese Erfahrung wohl noch ein wenig warten müssen. Vorerst durfte das bald 74-jährige Stehaufmännchen von der Insel die Leihgabe von Audi nur ins österreichische Saalfelden zum seinem nächsten Auftritt bewegen.

Doch die spontane Geste von Peter-Felix Tropschuh, Leiter von General Services beim Ingolstädter Automobilkonzern, spricht Bände über die Qualität der zuvor geleisteten Arbeit des Künstlers, die den Kinosaal im Museum Mobile zum ersten Mal richtig ausverkaufte, einheizte und zu stehenden Ovationen animierte. Dass Barber, die Inkarnation des „alten“ Jazz schlechthin, in Ingolstadt derart abräumte, lag vor allem an seiner runderneuerten Besetzung mit gleich sieben Bläsern, megaspannenden Arrangements, einem völlig neuen, aber für Altfans keinesfalls befremdlichen Konzept, sowie der verblüffenden Gewissheit, dass sich ein Jazz-Dino selbst im 50. Jahr seiner Karriere absolut würdevoll zu recyceln versteht.

Wer den Gentleman aus Welwyn Garden City heute noch auf „Icecream“, „You scream“ und Bierdixie reduziert, der begeht einen schweren Fehler. Sicher: Der Abend muss einfach mit Gassenhauern beginnen, etwas anderes würde die gespannte Erwartung auch im Nu zerstören. Doch schon nach kurzer Zeit wechselt Barber radikal die Richtung und demonstriert allen, die es immer noch nicht wussten, welch vielseitig interessierter, weltoffener Vollblutmusiker in ihm steckt. Die reduzierte und pausenlos durcheinander gewürfelte, elfköpfige Combo serviert Miles Davis` „All Blues“ in eckiger, dual-tonaler Stimmführung von Trevor Whitings Flöte und John Slaughters Gitarre.

Auch sonst steht der Blues gleich in mehreren Variationen auf der Speisekarte. Geschobene, verschachtelte, fette Bläsersätze im „Devaluation Blues“, während sich in „The Spell of the Blues“ die Band immer weiter subtrahiert, bis schließlich Drummer Collin Miller, Bassist Vic Pitt sowie die Gitarristen Slaughter und Paul Sealey die berühmten zwölf Takte derart entkernen, dass sie damit allemal auch ein Thema für die Ingolstädter Bluestage wären.

Und dann ist da noch dieser lässige, sanft dahingleitende Swing-Kick á la „Going Home“ oder die grandios arrangierte „Black and Tan Fantasy“ aus der Feder von Duke Ellington: Reife, edle Perlen großer Instrumentalkunst, bei denen die Solisten John Defferary (Klarinette, Tenorsax), Mike Henry (Trompete), Tony Carter (Altsax), der famose Bob Hunt (Posaune) und Pat Halcox (Trompete), Barbers Wegbegleiter seit einem halben Jahrhundert, immensen Freiraum im hochprofessionellen Konzept genießen.

Dass dies auch Entertainment beinhaltet, versteht sich von selbst. Barber mit nonchalantem Dauergeplapper in bestem Chris-Howland-Deutsch, unauffällig herumlungernde Oberkellner mit Saxofonen um den Hals, die wie auf ein geheimes Zeichen auf die Bühne springen, bis am Schluss endlich die sehnlichst erwartete Jukebox ihren Dienst tut: „Petite Fleur“, „When the Saints go marching in“ und dann – na was wohl? „Ice Cream“, und der Chor des Audi-Forums liefert die etwas dünne vokale Sahne dazu. Dennoch kitzelt das Mahl extrem Gaumen, Ohren und Seele: Der beste Chris Barber, den es je gab.