Ted Rosenthal Trio | 10.11.2023

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Manchmal erschließt sich die Bedeutung von Musik nicht einfach nur aus sich selbst, sondern auch aus dem Kontext, in dem sie steht. So bei der 247. Episode der Birdland Reihe »Art of Piano«, dem Konzert des Trios um den amerikanischen Pianisten Ted Rosenthal.

Im Mittelpunkt einer ganzen Reihe von Jazzstandards nämlich stand ein bedeutsames Werk, dessen Entstehungsgeschichte indes während des Konzerts gar nicht zur Sprache kam: Die Oper »Dear Erich«, 2019 in New York uraufgeführt, in der Ted Rosenthal das Schicksal seines Vaters musikalisch nachvollzieht.

Vor 90 Jahren, im Juli 1933, wurde Erich Rosenthal 21jährig von der Nazi-Bürokratie der Gießener Universität verwiesen. Ihm gelang die Emigration in die USA, wo er sich niederließ, heiratete und schließlich eine Familie gründete. Alle Versuche, seine Mutter und seine Angehörigen aus Nazi-Deutschland zu sich zu holen scheiterten. Die Familie wurde im Konzentrationslager Sobibor ermordet.

Ted Rosenthals Jazzoper »Dear Erich« baut auf 200 Briefen auf, die seine Großmutter aus dem nationalsozialistischen Deutschland Hilfe heischend an den hilflosen Sohn schickte und die Ted Rosenthal im Nachlass seines Vaters fand.

»Always Believe« war das erste Stück von vieren aus der Oper, die im Birdland erklangen, in einer äußerst behutsamen, hochgradig nuancierten Spielkultur, sensitiver Klangbildung und achtsamem Umgang mit der Musik, wie sie den ganzen Abend kennzeichneten. Ungemein berührend auch »Everything My Father Never Told Me«, lebensbejahend dagegen gesetzt »You Make Me Laugh« und »You Are Married«. Der Musik war nichts hinzuzufügen. Ted Rosenthal ließ die Kunst sprechen und sparte sich viele Worte, auch zur unabweisbaren Aktualität.

Die wunderbare, elegante, gekonnte, bewegende Pianistik kam auch zum Tragen in den Standards des Great American Songbook, die das Konzert durchzogen vom Gerschwin-Klassiker » I Loves You Porgy« bis zu Thelonious Monks »Well You Needn‘t«, von Hoagy Carmichaels »Skylark« zu Gerry Mulligans »Lonesome Boulevard«. Nicht zuletzt Tschaikowskys fünfte Symphonie fand sich im Repertoire des Pianisten, der 1993 schon an Gerry Mulligans Seite in Neuburg zu erleben war und seine Kunst über die Jahrzehnte intensiv verfeinert hat.

Der in Neuburg als langjähriger Dozent der Sommerakademie und häufiger Gast im Birdland zu Recht hoch geschätzte Bassist Martin Wind zeigte sich als ungemein klangbewusster, geschmeidiger und sensibler Teamplayer wie als überaus beeindruckender Solist. Hans Braber sorgte am Schlagzeug mit eher trockenem Sound für feinen, unwiderstehlich pulsierenden swing.