Tarkovski Quartet | 08.04.2017

Donaukurier | Karl Leitner
 

Seltsame Schwebeklänken schwirren durch den Raum, Klangfarben verändern sich allmählich, Schattierungen greifen ineinander, zwei akustische Motive begleiten sich kurz auf einem Stück ihres Weges, entfernen sich wieder voneinander. Wie zufällig schält sich ein rhythmisches Fundament aus der Klangsuppe, eine Melodie vollführt Luftsprünge. Kälte und Wärme, große Gesten und filigrane Minimalismen gehen wie selbstverständlich auseinander hervor. Filmleute würden eventuell von „langen Einstellungen“ und „Überblendtechnik“ sprechen. – Und damit ziemlich genau den Kern der Sache treffen.

Das Tarkovsky Quartet mit der Cellistin Anja Lechner, dem Sopransaxofonis- ten Jean-Marc Larché, Jean-Louis Matinier am Akkordeon und dem Komponisten, Bandchef und Pianisten François Couturier bezieht sich ja ausdrücklich und nicht nur dem Namen nach auf den russischen Filmemacher Andrei Tarkovsky, der bei Cineasten hohes Ansehen genießt eben wegen der Länge seiner Einstellungen, seiner metaphysischen Themen, aber auch wegen der außergewöhnlichen Schönheit seiner Bildersprache und seiner Motive, die sich mit Träumen, Erinnerungen, innerer Reflexion und schwebenden emotionalen Zuständen beschäftigen.

Die vier Musiker, die an diesem Abend auf der Bühne des Birdland stehen, übersetzen Tarkovskys Bilderwelt in die der Musik. Couturier, aus dessen Feder bis auf eines alle Stücke stammen, hat die Abläufe genau festgelegt, auch die Phasen, in denen er und seine Kollegen ihren Improvisationsgelüsten freien Lauf lassen können. Die Genregrenzen zwischen Jazz und Klassik werden aufgehoben, nicht nur, weil einmal sogar Antonio Vivaldi „gecovert“ wird, nein, weil das deutsch-französische Quartet grundsätzlich inhaltlich meilenweit entfernt ist von irgendwelchen Jazzern aus Harlem oder der Bronx. Gerade deswegen freilich öffnen sich immer wieder Türen nicht nur zwischen den Sparten Musik und Film, sondern auch zwischen den musikalischen Genres. Es ist offensichtlich, dass hier ein ganz besonderes Konzert stattfindet. Das Publikum spürt dies von Anfang an, indem es nicht wie sonst üblich nach besonders gelungenen Soli applaudiert sondern damit bis zum Ende des Stücks wartet. Der Club wird somit zum kleinen Konzertsaal.

Annäherungen zwischen Jazz und Klas-sik gab und gibt es immer wieder. Wobei sich dabei oft die eine Fraktion bei der anderen bedient und es dabei bewenden lässt. Das Tarkovsky Quartet freilich geht seit nunmehr zwölf Jahren seinen eigenen Weg und schafft Neues an der von ihm selbst definierten Schnittstelle. Nachzuhören ist dies auch auf der CD „Nuit Blanche“, die exakt einen Tag vor dem Birdland Konzert erschienen ist. Timing ist alles, im Jazz, in der Klassik und auch bei der Verpflichtung eines Künstlers.