Tango Transit | 04.02.2017

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Was für eine schlaue Band! Integriert das elektrisierende Wort „Tango“ in ihr Logo, um möglichst viele Leute anzulocken, sie richtig scharf zu machen, und spielt erst in der zweiten Zugabe etwas, das den Titel „Transsylvanian Tango“ und das man vielleicht ansatzweise als tangoähnlich durchgehen lassen kann. Da passt der zweite Namensteil „Transit“ schon wesentlich besser. Er steht für das Durchqueren einer bestimmten Zone, für Reisen und vor allem für Tempo. Letzteres gerät für Akkordeonist Martin Wagner, Bassist Hanns Höhn und Drummer Andreas Neubauer im bis auf den letzten Platz besetzten Birdland-Jazzclub zum Eisbrecher: Zwei Stunden lang fast immer Vollgas mit erstaunlicher Liebe fürs Detail und einem Publikum das – im Hofapothekenkeller selten genug – regelrecht ausrastet.

„Normale“ Jazzcombos strukturieren ihr Programm meist nach demselben Schema: erst ein Schleicher, dann etwas Südamerikanisches und schließlich ein knackiger Fußwipper-Swing. Aber Tango Transit darf man nicht an konventionellen Maßstäben messen. Nicht einmal Tango-Puristen würden bei Wagner, Höhn und Neubauer richtig froh. Denn das Trio lässt sich bereitwillig von allen Seiten befeuern, saugt jeden in der Luft liegenden Einfluss auf, verzichtet bewusst auf Scheuklappen und transportiert ungefiltert jede emotionale Regung in ihre Reiseskizzen aus Noten. Ihr Musizierstil: heißblütig, innig, ekstatisch, erotisch, witzig. Martin Wagner erfindet auf seiner „Quetsche“ knisternde Geschichten und verschmilzt offenkundig mit seinem seufzenden Blasebalg. Hanns Höhn sorgt mit seinem Kontrabass für einen geradezu tänzelnden Groove. Das Meiste erinnert mehr an französische Musette, an Freude, Überschwang und Glück, als an argentinische Tango-Tristesse, nicht zuletzt wegen des häufig rockigen, selten swingenden Schlagzeugs von Andreas Neubauer.

Und die Themen? Irgendwann schimmern moderne Elemente wie Elektrotango, Tango House, der Tango-Jazz von Paquito DʼRivera durch, und natürlich der Tango Nuevo eines Astor Piazzolla. Aber dafür muss man sich schon ganz genau hinhören. Dafür punkten die drei mit hinreißend coolen Adaptionen ihrer Lieblingsband Pink Floyd wie „Money“ oder „Brain Demage“, überraschen mit einem vermeintlich steirischen Landler, der sich plötzlich als Jimi Hendrixʼ „Hey Joe“ entpuppt, drehen die Tachonadel mit einem Formel-Eins-Arrangement, das den Namen „Vienna April“ trägt, bis zum Anschlag und mimen eine Band, die bei „Schlaf“ – nomen est omen – während des Spiels langsam wegdämmert und schnarcht. Die Leute im Birdland lauschen fasziniert und glucksen vor Vergnügen.

Der Stein der Weisen, um den Jazz wieder zu den Leuten zu bringen? Fakt ist: Tango Transit gehören zu jenen Gruppen, die längst erkannt haben, dass ihr Handwerk nicht länger einem subjektiven künstlerischen Anspruch genügen muss. Drei offene, zugewandte, leidenschaftliche, noch dazu virtuose Musiker brauchen einfach das Feedback, weil es sie motiviert und anspornt. Dass sie dabei keine Mogelpackung und billigen Populismus servieren, sondern eine exzellente Performance auf hohem Niveau, ist das eigentlich Beruhigende an diesem lebhaften Abend. Ganz schön clever!