Tango Transit | 22.09.2023

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Dieser Abend im Birdland ist ungewöhnlich, oft umwerfend, gelegentlich auch (fast zu) ekstatisch in der unbändigen musikalischen Urkraft des Bandleaders und Komponisten Martin Wagner (Akkordeon) und seiner Mitstreiter Hanns Höhn (Bass) und Andreas Neubauer am Schlagzeug. Was vor allem Wagner an wilden Ausbrüchen auf seinen Tasten zu bieten hat, manchmal selbst fortgerissen von seinem improvisatorischen Impetus, lässt sich als der Wahnsinn auf dem Akkordeon beschreiben.

Ungewöhnlich ist nicht nur die Besetzung dieses Trios. Es fehlen Klavier, Saxofon, Trompete, Gitarre. Aber das ist nicht als Defizit zu verstehen, die drei von „Tango Transit“ entfachen ein Feuerwerk im vollbesetzten Birdland-Keller, dass man meinen könnte, das sei eine weit stärker besetzte Combo am Werk. Bass und Schlagzeug sind viel mehr als Rhythmus-Gruppe für den mit verwegenen, nicht selten vogelwilden Soli glänzenden Mann am Akkordeon. Der Kontrabass wird zum Melodieinstrument, Hanns Höhn nimmt die Motive des Bandleaders auf, variiert sie mit Raffinesse und gib den Stab dann an das Akkordeon zurück oder ans Schlagzeug weiter.

Das Ganze ist so keine Abfolge von Solo Bass, Extrabeifall, Auftritt Schlagzeug, Szenenapplaus, Parforce-Ritt Akkorden und dann alle drei zusammen – es entwickelt sich eine kammermusikalische Dichte, mit einem musikantischen Furor, der immer wieder aufblitzt.

Diese Qualität ist nicht nur bei Piazzollas berühmtem „Libertango“ zu spüren. Die Seele des Tango mit seiner unerfüllten und auch unerfüllbaren Sehnsucht, mit dem elegischen und erotisch aufgeladenen Grundton wird sinnlich fassbar. Das ist einem sensiblen Schlagzeuger, der es nie einfach nur krachen lässt, ebenso zu verdanken wie dem absolut präsenten Bassisten und natürlich dem Teufelskerl auf dem Akkordeon.

Dieses Attribut bezieht sich nicht nur auf die Virtuosität, die den Zuhörer manchmal denken lässt: Ja wo ist er denn gerade mit seinen irrwitzigen Sextolen, Trillern und 32stel-Eskapaden, mit seinen verwegen schrägen Harmonien? Er ist immer voll bei sich und kriegt nach jedem Ausbruch die Kurve zu lyrischen, liedhaften Passagen.

Volkslieder sind ja auch die Grundlage, auf der Martin Wagner als Komponist und als improvisationsgetriebener Jazzer den „Tango Transit“-Sound aufbaut. Ein Jäger aus Kurpfalz, Winter ade, Bruder Jakob oder „Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal“ sind Lieder mit scheinbar einfachen Melodien, die man meint, aus jeder noch so veränderten Adaption heraushören zu können. Bei den sehr gekonnten und eigenwilligen Versionen Wagners freilich muss man schon hochkonzentriert bleiben, um zu erahnen, was da gerade abgeht.

Das ist erfrischend, manchmal wie eine augenblicklich belebende kalte Dusche, richtig frech und sehr freigeistig. Die Zuhörer werden gefordert und ernst genommen. Daraus entsteht echtes Vergnügen. Auf der Bühne und im Saal.