Ein mächtiger Growl, ein charmantes Lächeln, und alles ist wieder im Lot. Originärer US-Jazz in einem deutschen Jazzclub wie dem Neuburger „Birdland“, das verheißt nach dem 11. September zumindest ein Stück Normalität, ja vielleicht sogar einen Hauch Zuversicht. Und wenn dann noch eine Musikerin wie Sarah Morrow konzertiert, dann scheint dieser Kulturzweig mit seinen veralteten, fast schon zwanghaft überzeichneten Amerikanismen nicht bloß eine Vergangenheit, sondern wieder eine echte Zukunft zu besitzen.
Ein junge Frau wagt den Sprung ins Haifischbecken des Jazz, und das ganz ohne Tüll, Boa und Abendkleid. Nur mit einer Posaune bewaffnet, steht sie „ihren Mann“ inmitten der Männer auf der Bühne des Hofapothekenkellers. Eine zierliche, fast zerbrechliche Erscheinung mit einem voluminösen Instrument. Auf der Rückseite ihres T-Shirts grinst einem das fratzenhafte Antlitz des Clowns Pennywise aus Stephen Kings „Es“ entgegen: Ein Symbol auch ihrer eigenen Doppelgesichtigkeit.
Einmal gibt die 27-Jährige aus dem Städtchen Pickerington in Ohio absolut überzeugend die introvertierte, unnahbare, fragile Prinzessin mit gläsernem Sound, um sich nur Sekunden später in ein wildes, laszives, fauchendes Funkmonster zu verwandeln. Aus dieser extremen Sprunghaftigkeit nährt sich auch Sarah Morrows exorbitantes Spiel: Ein Mix aus der düsteren, nebelverhangenen Poesie eines Miles Davis und der modernen, schillernden Ästhetik der New Yorker M-Base, unterfüttert mit ihrem inzwischen schon legendären Gefühl für Rhythmus und Dramaturgie.
Die Posaunistin braucht kein Mikrofon, um aufzufallen. Ihr hinreißend dickflüssiges, süßliches Duo mit dem herrlich phrasierenden Pianisten Victor Atkins in „One for the Road“ atmet die ganze drückende Schwüle des Mississippi-Deltas inklusive des damit verbundenen Durstes und der Moskitostiche. Die Morrow lässt ihren Ton über einen Plunger flattern, schmatzen, gleißen. Mit jedem Stück gießt sie einen Tropfen Benzin mehr ins lodernde Feuer ihrer ebenso diszipliniert wie ungehemmt agierenden Band, von der sich allenfalls der zu gediegene Bassist Clarence Scay sowie Drummer Donald Edwards als ausgewiesener Snare-Fetischist mit einem Hang zu überfallartigen „Bombs” etwas ausgrenzen.
Einer Topstar des Genres wie Jesse Davis würde unter Garantie jeden anderen mit seinem Altsaxofon von der Strahlkraft eines Nebelhorns schon nach dem ersten Solo wuchtig in die Bühnenecke blasen. Nicht so Sarah Morrow: Sie vermeidet es bewusst, mit der gleichen Expressivität auf die bohrenden Fragen zu antworten und setzt dem Flammenmeer dunkelblaue, tief atmende, dämpfende Schatten entgegen.
Den Zauber dieser Musik bestimmt ihre Dosierung. Angerostete Edelstandards wie Monks „Well you needn`t“ oder Gillespies „A Night in Tunesia“ erlangen durch das Bad in Morrows prickelnder Lauge sogar eine völlig neue chemische Zusammensetzung, selbst Lou Donaldsons „Alligator`s Boogaloo“ funkelt als heftig mitgeklatschte Zugabe wie ein schlurfender Soulblues aus den aktuellen R&B-Charts.
Eine wie Sarah M. versteht es, virtuos mit den Extremen zu jonglieren. Sie ist eine im positivsten Sinn des Wortes gespaltene Musikerpersönlichkeit, die immer weiß, was sie tut. Im Gegensatz zu all den Dr. Jekylls und Mr. Hydes einer in sich zerrissenen Szene.