Was macht ein Sohn, zu dessen Vaters Ehren in den USA – es gibt sie wirklich! – sogar eine eigene Kirche gegründet wurde? Wie geht der Sprößling eines Jahrhundertgenies mit dem eigenen Talent um? Kann er in die Fußstapfen eines Vaters treten, den sich wer weiß wie viele Kollegen als absolutes Vorbild auserkoren haben, der so sakrosankt ist, dass erst Jahrzehnte nach seinem Tod gewagt wurde, seine Werke eigenständig zu interpretieren? Ravi Coltrane bleibt die Antwort auf solche Fragen ein ganzes Stück weit schuldig – Und darin handelt er sehr klug! Denn ohne sich vom ungeheuren potentiellen Gewicht seiner Herkunft belasten zu lassen entwickelt er sich als künstlerische Persönlichkeit deutlich außerhalb des riesigen Schattens, den das Werk seinen Vaters John Coltrane wirft. Bereits zum zweiten Mal nach 2003 belegte Ravi Coltrane im Neuburger Birdland Jazzclub, dass er ein ausgezeichneter und hochgradig eigenständiger Musiker ist, der seinen Weg durchaus jenseits der väterlichen Fußstapfen gefunden hat.
Als der einzigartige stilbildende Saxophonist John Coltrane 1967 im Alter von nur 40 Jahren im unerbittlich zehrenden Wandel eines Jazzmusikers der 50er und 60er Jahre sein Leben vollends aufgerieben und der Suche nach der spirituellen Essenz des Seins geopfert hatte, war sein Jüngster noch nicht ganz zwei Jahre alt. Lang währte des Juniors Weg zur Musik, lang reifte der Entschluss des Saxophonisten Ravi Coltrane, sich als Leader einer eigenen Band der Öffentlichkeit zu stellen, sich dazu noch mit dem Werk des Vaters wie der Mutter, der erst im Januar 2007 verstorbenen Jazzmusikerin Alice Coltrane, auseinanderzusetzen. Alles andere als von Beruf Sohn! Gerade weil er sich neben dem Tenor- nun auch am Sopransaxophon profiliert, einem Instrument, das sein Vater als einer der ersten im modernen Jazz heimisch machte.
An beiden Instrumenten ist Ravi Coltranes Sound rund, griffig und voll, mit Biss und von Selbstbewusstsein getränkt, dabei ohne Zorn, Aggression oder gar Verzweiflung. Der 42jährige spielt sein Horn mit der Selbstverständlichkeit und Sicherheit eines Mannes, der seinen Platz im Leben gefunden hat, der zugleich mit sehr wachem Blick auf die Welt sieht, seine Stimme in ihr erklingen lässt in der Gewissheit, dass sie zählt. Kein Wohlfühljazz, im Gegenteil jung, hip, fordernd und im Rahmen kontrollierter Offensive kompromisslos, Musik, die weiß, was sie zu sagen hat, das mit einer ausgezeichneten Band, die mit E.J. Strickland am Schlagzeug, Drew Gress am Bass und dem überaus kreativen, leider beim Soundcheck wohl ein wenig vernachlässigten Pianisten Luis Perdomo herausragend besetzt ist. Das Ganze bis „Round Midnight“. Ravi Coltrane: ein Mann im besten Alter eines Jazzmusikers, ein Künstler, der seine eigene unverwechselbare Stimme gefunden hat und sie unüberhörbar erhebt. Die „Message“ ist angekommen!