Tap tap tap: Ein Jazzkonzert klingt anders. Und sieht auch anders aus. Im Neuburger „Birdland“-Jazzclub bilden drei mit farbenfrohen Kaftans bekleidete Männer ein Trio. Einer spielt Klavier, der andere bedient den Bass, und wo sonst das Schlagzeugset die Bühne füllt, steht diesmal eine (von Charly Böck ausgeliehene) Conga-Batterie.
Bei Randy Weston ist alles ein wenig merkwürdig. Der wundersame amerikanische Pianist mit Wohnsitz in Rabat (Marokko) steht trotz seiner 76 Jahre nach wie vor für unverblümten Nonkonformismus und leichtfüßige Grenzüberschreitung, für das Zusammenführen zweiter Kulturen bis zum Sichtbarwerden der gemeinsamen Wurzeln. Durch die Performance des baumlangen Hünen, den viele als eine der letzten noch lebenden Legenden aus der goldenen Ära von Bebop und Hardbop bezeichnen, fließt unverkennbar dickes afrikanisches Blut. Wenn seine Pranken feinsinnig in die Tastatur greifen, hat es manchmal den Anschein, als würden Duke Ellington und Thelonious Monk gemeinsam die Riten eines vergessenen Buschvolks begleiten. Was von Stück zu Stück irgendwie selbstverständlicher erscheint.
Die Suche nach dem Geist seiner Vorfahren beseelt den afro-amerikanischen Musiker, der sich gerne als Historiker bezeichnet und noch am Tag vor seinem Neuburg-Gastspiel in Alexandria zur Eröffnung der Bibliothek vor den Staatschefs Mubarak und Chirac konzertierte, seit vielen Jahren. Und es ist hoch spannend, Westons Fährten zu folgen. Sie beginnen bei Blues, Gospel und Spirituals, zweigen kurz, aber nicht zu lang in eine Seitenstraße des Swing ab und landen schlussendlich bei den tranceartigen Elogien der Gnawa, die es vor Jahrhunderte als Sklaven an die Küste Nordwestafrikas verschlug.
Sperrige Melodiekürzel schweben wie Beschwörungsformeln durch den Keller der Hofapotheke, unterbrochen oder hoch katapultiert vom bunten Geflecht der Rhythmen des Perkussionisten Neil Clarke oder dem unglaublich hart, fast durchdringend gezupften und tief in der Magengrube landenden Bass von James Lewis. Konsequenter als Weston verwandelt niemand mehr Zeit in Harmonie, kein anderer kultiviert so sehr die perkussive Dimension des Pianos, das bei ihm oft wie ein Schlagzeug mit 88 Fellen wirkt. Aus Groove entsteht Struktur, Verzauberung auf höchster Ebene.
Die Titel tragen Namen wie „Kom Ombo“, „Ancient Future“ oder „Roots of the Nile“: Schwere, dunkle, mystische, schaukelnde Kunstwerke, großartig und viel zu tiefschürfend, als dass sie in die Schublade der meist oberflächlich gezimmerten Machwerke der Marke „Weltmusik“ passen würden. Aber auch „Hi Fly“ taucht auf, Randy Westons schwereloser Alltime-Jazzwalzer. Diesmal serviert ihn der Meister im schlurfenden Beat voller Ungereimtheiten, Winkeln, Ecken und Kanten und langsam sich verschiebenden Ostinati. Oder das holprige, stotternde, fast widerwillig anlaufende „Caravan“, das unweigerlich in einen übermächtigen Strudel hineingezogen wird.
Übe rhaupt: Der Elfenbein-Schamane serviert frappierende Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme. Wenn Randy Weston den aufbrausenden Perkussionssturm Clarkes lediglich mit zwei erhobenen Händen Einhalt gebietet, einen leisen, federnden, tippelnden Lauf einwirft und die Trommel beim hauchzarten Klopfen auf die höchste Taste des Bösendorfers wiederfindet, dann ist das – gerade wegen der verblüffenden Einfachheit – ganz große Kunst. Das Publikum im „Birdland“ empfand es genauso. Selten wurde ein Musiker weit nach Ende des Konzertes mit derart frenetischem Applaus zu einer weiteren Zugabe „gezwungen“.