Ralph Towner solo – Larry Goldings Trio (Stadttheater Neuburg) | 21.11.2019

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Hübsche Idee: einen Abend in zwei Hälften teilen. Was in amerikanischen Jazzclubs gang und gäbe ist, hat sich bis dato im europäischen Raum noch nicht durchsetzen können. Hierzulande will das Publikum was fürs Geld, sprich ein Konzerterlebnis bis zur (manchmal bitteren) Neige und mindestens zwei Stunden Länge. Die andere Variante, nämlich zwei absolute Superstars des Genres für jeweils einen Set von maximal einer Stunde Länge auf die Bühne zu bitten, praktiziert der Birdland Jazzclub Neuburg anlässlich seines Radio Jazz Festival im Neuburger Stadttheater schon seit einiger Zeit mit beachtlichem Erfolg.

Auch das aktuelle Programm mit dem Weltklasse-Gitarristen Ralph Towner und dem Trio des Organisten Larry Goldings vor gut gefüllten Zuschauerreihen funktionierte aus zweierlei Gründen. Zum einen leben solche Doppelkonzerte von den Kontrasten, im vorliegenden Fall vom Wechselspiel der filigranen, akustischen Sologitarre mit den funkigen Metren dreier hinreißender Improvisatoren. Aber auch die Länge der Darbietungen vermeidet auf subtile Weise Übersättigungen, wie sie leider nicht selten bei epischen Vorträgen anderer Kollegen entstehen. Das Credo der Donnerstagskonzerte im Stadttheaters lautet: Auf den Punkt kommen – was beiden Acts in diesem Jahr bestens gelang. Dass die Jazzfans im Biedermeier-Musentempel dann auch noch unverhohlen ihre Begeisterung jeweils zwei Zugaben erklatschten, bestätigt, dass die „Dosierung“ der Musik punktgenau passte.

Bei Ralph Towner dürfte den Richtmikrofonen des BR, der diesen Abend in voller Länge dokumentierte, sogar der Klang einer auf den Boden fallenden Stecknadel nicht entgangen sein. Denn die Finger des 79-Jährigen bewegen sich wie von selbst über das Griffbrett und den Korpus, modellieren Melodien, jonglieren mit Harmonien und Takten, vollführen tollkühne Oktavsprünge. Towner trotzt jedem Zeitgeist und sitzt auch bei einem Konzert wie im Stadttheater auf seinem Hocker da, wie ein ästhetischer Monolith. Atemlos und hautnah beobachten die Fans diese Finger, wie sie flitzen, marschieren, gleiten, springen, laufen, tänzeln oder schlendern, wie sie miteinander im Einklang bleiben, die Ideen und manchmal auch den Instinkt ihres Besitzers ohne Umwege in Klänge transportieren.

Man glaubt, die Standards, all die wunderschönen Melodien, unter dem Schleier seiner Arpeggios und Flageoletts, zu erkennen. Es sind starke Themen, sei es „Make Someone Happy“, „My Foolish Heart“ oder das fröhlich-alpenländische „Dolomiti Dance“, denen Towner immer einen Ohrwurmcharakter zu verleihen versteht, ohne sie zu banalisieren. Im Gegenteil: Unter seinen Händen wirkt selbst die komplizierteste Grifffolge leicht, einfach nachzuvollziehen. Kein klassischer Jazz, sondern glimmende Notenkonstrukte mit Tendenz zum Folksong, was der akustischen Konzertgitarre geschuldet sein mag. Der Mann, der mit seiner Band Oregon Musikgeschichte schrieb und sogar vor 50 Jahren in Woodstock auf der Bühne stand, schafft Kleinodien, die einen tiefen Sinn fürs Instrument offenbaren, spinnwebartige Geflechte, sanfte Lyrismen voller spröder Schönheit, Mehrstimmiges, behände Akrobatik der Gliedmaßen ohne einen Anflug von Nabelschau. Pure Zauberei.

Selbst Larry Goldings, der nach ihm auf die Bühne muss, beginnt seine Performance mit einer Eloge auf den großen Gitarristen. Er besitze alle seine Platten, sei ein glühender Fan und dankbar, ihn heute das erste Mal überhaupt zu treffen. Dabei ist der Ausnahme-Organist, den vor allem Popstars wie James Taylor und Tracy Chapman zu ihrem festen Stamm zählen, eigentlich auf völlig anderen musikalischen Pfaden unterwegs. Zusammen mit dem abermals grandios musikalisch agierenden Drummer Bill Stewart und dem diesmal erfrischend modernen Gitarristen Peter Bernstein baut Goldings ein Konstrukt aus fettem Groove, verschachtelten Bögen und raffinierten Nuancen. Ob die drei nun „Mr. Meagles“, die Ode auf einen obskuren Typen aus der Küche des New Yorker Jazzclubs Village Vanguard, „Irvin Berlins „How Deep Is The Ocean“, Wayne Shorters „United“ oder Bernsteins „Simple As That“ in ihre Tonsprache übersetzen – alles bereitet Musikern wie Publikum tierischen Spaß!

Da wird ziseliert und musikalisch jongliert, mit bewährten Stimmungen, vor allem aber in der gelösten, konzentrierten Atmosphäre eines Teams, das seit 1991 in derselben Besetzung zusammenarbeitet. Man erlebt drei Freunde im Gespräch, jeder für sich ein Spezialist für Zwischentöne und Differenziertes. Es ist ihnen ein Herzensangelegenheit. Eine, bei der der Fuß permanent mitwippen möchte, auch und gerade nach einem leisen Auftakt wie diesem.