Orchestre National de Jazz | 18.10.2012

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Nostalgie aus dem Radio, ein einsamer Bass, dann ein leises Schlagzeug gesellen sich dazu, elektrisches Piano und akustischer Flügel, fünf Bläser formen behutsam eine Melodie, Sounds, wie sie selten zu hören sind im Kreisrund des museum mobile. Suggestive Sogwirkung geht von der Bühne aus, nimmt Ohr und Gemüt gefangen, beschwörend, betörend, luzid und unwiderstehlich im Tanz der Elemente.

Das Orchestre National du Jazz gab im Audi Forum Ingolstadt das erste und einzige Konzert in Deutschland mit brandneuem Programm rund um Piazolla. Einer der renommiertesten Klangkörper des Kontinents, innovativ, impressiv, hypnotisch, widmete den Abend dem großen Erneuerer und Neuerfinder, Emanzipator des Tango von der Spelunke in den Konzertsaal, dem kraftvollen Reformer einer Musik, die nun ihrerseits zur Neuinterpretation ruft.

Perkussive Geräusche von Saxophon, Bassklarinette, Flöte und Trompete erinnern an die Klappen des Bandoneons, die Gitarre wirft sparsame Akkorde dazwischen, erst langsam schält sich mehr und mehr der Groove heraus, werden harmonische Strukturen erkennbar, entstehen Melodien, überlagern sich zu einem zauberischen Netz von transparenter Dichte, in dessen Mitte wie ein Schalk der Libertango tanzt.

Schwebstoffe aus Trance und Phantasie, bunte Wolken aus Jazz, Impressionismus, Psychedelics und Kantilene finden sich in oszilliendem Klang zu faszinierender Einheit, durchwebt von ziselierten Orientalismen und romanischem Charme, Esprit, Champagner gleichem Prickeln.

Da tanzt der Pierot in ungradem Groove übers Hochseil, lässt sich die Trompetentöne um die Ohren flattern, gefährlich nah am Abgrund in selbstbewusster Balance und rasantem Wechsel der Tempi, stürzt sich förmlich in die Soli von Saxophon, Klarinette und Posaune, trippelt über Turbulenzen, fliegt schließlich mit rasantem Schwung ins Ziel, mitten ins lebendig pulsierende Herz unserer Zeit.