Eines vorab: Das Publikum im Birdland hat wirklich Ahnung. Und Geschmack. Denn im Vergleich zu einigen Veranstaltung in der jüngeren Vergangenheit ist der Keller unter der Hofapotheke diesmal proppenvoll. Was Wunder, wenn sich ein Naturereignis wie Nduduzo Makhathini anbahnt! Der südafrikanische Musiker, der so viel mehr ist, als nur ein Pianist, hatte bei seinem Neuburg-Debüt im November 2021 einen derart nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass viele schon damals vom „Konzert des Jahrzehnts“ sprachen. Entsprechend waren sämtliche Plätze für das aktuelle Gastspiel bereits wenige Tage nach der Ankündigung restlos ausverkauft.
Was erwarten sich die Menschen von diesem 40-jährigen Mann, der nicht nur äußerlich wegen seiner modisch-farbigen Kopfbedeckungen, seines Fusselbartes, der massigen Erscheinung, der klirrenden Synkopen, der tapsigen Blockakkorde und der hinkenden Läufe wie ein Wiedergänger von Thelonious Monk anmutet? Wer „nur“ auf einen unterhaltsamen Abend hofft, der bekommt ihn natürlich – aber auf eine Art, wie sie vielen bis dato nicht kannten. Makhathini gilt in seiner Heimat auch als Heiler, als Schamane, dazu ist er Philosoph, leitet den Musikstudiengang der Universität in Fort Hare und castet für „Blue Note Africa“, den Ableger des ältesten und wichtigsten Jazzlabels der Welt, die Talente seines Kontinents. Und entsprechend geraten die 120 Minuten auch zu einem Erlebnis von besonderer Güte, zu einer kollektiven Sinneserfahrung, bei der es darum geht, Musik nicht nur als geschickte Kombination von Tönen und Rhythmen zu verstehen.
Nduduzo Makhathini redet gerne und viel und öffnet sich den Leuten mit einem gewinnenden Lachen, dem sich kaum jemand entziehen kann. Er will Dinge, die schon lange als unlösbar gelten, in Frage stellen, Probleme ansprechen, über die Menschen nur achselzuckend sagen: Das ist halt so, kann man nix machen – Rassismus, religiöse Konflikte, territorialen Zwist. Und damit das alles nicht zur plumpen Show verkommt, lebt der Pianist was er sagt auch vor. Seine einfache Frage, wie es einem gehe, ist beileibe keine Höflichkeitsfloskel. Er meint es wirklich so. Denn wenn es seinem Gegenüber gut geht, dann geht es auch ihm gut. So funktioniert die Philosophie der Ubuntu (Zulu für „Menschlichkeit“), die ein grundsätzlich anderes Bild einer Gesellschaft in den Vordergrund stellt: Der Einzelne braucht den Geist der Gemeinschaft, um zu überleben und glücklich zu werden.
Und so entwickelt sich auch das Konzert zu einem kollektiven Erlebnis. Diesmal offeriert Nduduzo im Trio mit dem jungen Bassisten Zwelakhe Duma Bell Le Pere und dem Drummer Francisco Mela sein aus dem Innersten kommendes Amalgam aus Stammesweisen, Melodien und Improvisationen, schwebt durch Stücke wie „Abantwana Belanga“ (Visualisierer) oder ehrt sein anderes, großes Pianisten-Vorbild McCoy Tyner, für den Francisco Mela – einer der flinksten, spontansten und fantasievollsten Schlagzeuger, die je im Hofapothekenkeller auftraten – einst trommeln durfte, mit „Tynerʼs Visit“. Dafür besitzt Makhathini nicht nur das emotionale und handwerkliche Rüstzeug, sondern auch den Mut, seinen aufflammenden Ideen freien Lauf zu lassen. Bei „Amathongo“ bleibt der Rhythmus im Ostinato, der Mann nutzt den Flügel als atonales Schlaginstrument und ruft fast beiläufig mit skandierten Formeln die Ahnen und Götter an. Im Kern ist das Jazz. Aber da ist noch diese andere Ebene jener Spiritualität, die so viele Jazzer lange suchen und im Prinzip nie erreichen.
Grundsätzlich nimmt das gemeinschaftliche Singen eine große Rolle ein, auch mit dem Publikum. Makhathini und Melo bitten die Leute, einfach ihrem Bauchgefühl zu folgen. Jede Wette: Keiner im Saal kann die überlieferten Sprachen Zulu oder Xhosa, aber irgendwann stimmt jeder in den Singsang mit ein, selbst die notorischen Muffel, die distanzierten Nichtsänger, die ewigen Naserümpfer. Und auf einmal sind alle beisammen und wundern sich, warum sie am Schluss alle ein Quäntchen glücklicher, lächelnder und befreiter nach Hause gehen. Das ist das eigentlich Verblüffende an Nduduzo Makhathini: Er heilt, ohne sich Aufzudrängen und tilgt auf seinem Weg zum Weltstar ganz allmählich den Geburtsfehler des Jazz. Bei ihm braucht man nämlich keine Doktorarbeit, um zu verstehen. Er holt die Menschen einfach ab.