Matthias Well & Lilian Akopova „Jazzissimo“ | 09.03.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Lilian Akopova und Matthias Well sind phantastische Musi­ker, eine technisch brillante Pianistin die eine, ein ebensolcher Geiger der andere. Wenn zwei Virtuosen ihrer Klasse auf­einandertreffen, wie im Birdland Jazz­club in Neuburg geschehen, ist das ein echtes Erlebnis. Tastenhexerin aus der Ukraine trifft auf Teufelsgeiger aus der Well-Familie, aus der einst ja auch die Biermösl-Blosn und die Wellküren her­vorgingen.

Klassik und Jazz verabreden sich im­mer wieder mal im Birdland, turnusmä­ßig anlässlich der Neuburger Barockkon­zerte, wenn Jazzer sich mit Werken Bachs oder Händels beschäftigen, oder auch zwischendurch, wenn etwa wie un­längst einer wie Dieter Ilg sich Maurice Ravel vorknöpft. Und nun also „Jazzissi­mo“ mit Akopova und Well, beide groß­artig, ja, grandios, und das, obwohl sie Jazz, in dem Blue Notes, eine spezielle Art der Tonbildung und vor allem die Improvisation relevant wären, im eigent­lichen Sinne ja gar nicht spielen. Es geht an diesem Abend also nicht darum, spon­tan auf der Bühne Neues zu entwickeln, nicht darum, dass einer der Duo-Partner eine überraschen­de Idee hat und der an­dere sie aufgreift, interpretiert, kommen­tiert oder durch eine eigene ersetzt – also um das, was Jazz ausmacht – sondern darum, der Klassik zuzuordnende Werke, in deren Partituren der jeweilige Kompo­nist Ele­mente des Jazz ganz bewusst hin­eingeschrieben hat, hörbar zu machen.

Also trifft man einmal mehr auf Mau­rice Ravel, diesmal auf dessen „Violin Sonata No. 2“, auf George Gershwin’s „My Man’s Gone Now“, auf Alexander Rosenblatt’s „Carmen Fantasy“ mit – wie zu erwarten – deutlichen Anleihen an Georges Bizet, aber auch an Astor Piaz­zolla und dessen „Nightclub“, Darius Michaud’s „Le Boeuf Sur le Toit“ und Vladislav Cojocaru’s „Kaleidoscope“. Erst ganz am Ende, in der zweiten Zuga­be, wagen sich Akopova und Well – zum allerersten Mal, wie sie selber sagen – an eine „echte“ Jazzkomposition heran, nämlich an „Lullaby Of Birdland“ aus der Feder von George Shearing, die sie selbstverständlich genauso souverän meistern wie das gesamte Programm zu­vor, nur dass es jetzt swingt, pulst und groovt.

Klassik und Jazz. Passt das wirklich zu­sammen? Natürlich, und zwar in unter­schiedlichsten Konstellationen. Jazzer spielen Klassik und umgekehrt. Klassi­sche Komponisten integrieren Jazzele­mente in ihre Stücke und umgekehrt. Warum überhaupt diese Frage? Gilt nicht heute, in Hoch-Zeiten des genreübergrei­fenden Crossover, mehr denn je das Zitat des legendären Louis Armstrong: „Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte. Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du spielst“? Im Falle Akopova und Well ist das unbe­dingt zu unterschreiben. Man könnte den beiden vermutlich auch das Telefonbuch ihrer Heimatstadt Kiew vorlegen – oder das von München, wo Well vor 31 Jah­ren geboren wurde. Schriebe ein Kompo­nist, dem Genres egal sind, dann noch die passenden Noten dazu, würden die beiden vermutlich auch daraus noch im Sinne Armstrongs gute, ach was, überra­gende Musik machen und einen Abend, den man so schnell nicht vergisst. Denn genau so einen erlebte das Publikum im ausverkauften Birdland, Jazz-Fans und Klassik-Freaks gemeinsam und unter Aufhebung jeglichen Fraktionszwangs.