Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Lilian Akopova und Matthias Well sind phantastische Musiker, eine technisch brillante Pianistin die eine, ein ebensolcher Geiger der andere. Wenn zwei Virtuosen ihrer Klasse aufeinandertreffen, wie im Birdland Jazzclub in Neuburg geschehen, ist das ein echtes Erlebnis. Tastenhexerin aus der Ukraine trifft auf Teufelsgeiger aus der Well-Familie, aus der einst ja auch die Biermösl-Blosn und die Wellküren hervorgingen.
Klassik und Jazz verabreden sich immer wieder mal im Birdland, turnusmäßig anlässlich der Neuburger Barockkonzerte, wenn Jazzer sich mit Werken Bachs oder Händels beschäftigen, oder auch zwischendurch, wenn etwa wie unlängst einer wie Dieter Ilg sich Maurice Ravel vorknöpft. Und nun also „Jazzissimo“ mit Akopova und Well, beide großartig, ja, grandios, und das, obwohl sie Jazz, in dem Blue Notes, eine spezielle Art der Tonbildung und vor allem die Improvisation relevant wären, im eigentlichen Sinne ja gar nicht spielen. Es geht an diesem Abend also nicht darum, spontan auf der Bühne Neues zu entwickeln, nicht darum, dass einer der Duo-Partner eine überraschende Idee hat und der andere sie aufgreift, interpretiert, kommentiert oder durch eine eigene ersetzt – also um das, was Jazz ausmacht – sondern darum, der Klassik zuzuordnende Werke, in deren Partituren der jeweilige Komponist Elemente des Jazz ganz bewusst hineingeschrieben hat, hörbar zu machen.
Also trifft man einmal mehr auf Maurice Ravel, diesmal auf dessen „Violin Sonata No. 2“, auf George Gershwin’s „My Man’s Gone Now“, auf Alexander Rosenblatt’s „Carmen Fantasy“ mit – wie zu erwarten – deutlichen Anleihen an Georges Bizet, aber auch an Astor Piazzolla und dessen „Nightclub“, Darius Michaud’s „Le Boeuf Sur le Toit“ und Vladislav Cojocaru’s „Kaleidoscope“. Erst ganz am Ende, in der zweiten Zugabe, wagen sich Akopova und Well – zum allerersten Mal, wie sie selber sagen – an eine „echte“ Jazzkomposition heran, nämlich an „Lullaby Of Birdland“ aus der Feder von George Shearing, die sie selbstverständlich genauso souverän meistern wie das gesamte Programm zuvor, nur dass es jetzt swingt, pulst und groovt.
Klassik und Jazz. Passt das wirklich zusammen? Natürlich, und zwar in unterschiedlichsten Konstellationen. Jazzer spielen Klassik und umgekehrt. Klassische Komponisten integrieren Jazzelemente in ihre Stücke und umgekehrt. Warum überhaupt diese Frage? Gilt nicht heute, in Hoch-Zeiten des genreübergreifenden Crossover, mehr denn je das Zitat des legendären Louis Armstrong: „Es gibt nur zwei Arten von Musik: gute und schlechte. Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du spielst“? Im Falle Akopova und Well ist das unbedingt zu unterschreiben. Man könnte den beiden vermutlich auch das Telefonbuch ihrer Heimatstadt Kiew vorlegen – oder das von München, wo Well vor 31 Jahren geboren wurde. Schriebe ein Komponist, dem Genres egal sind, dann noch die passenden Noten dazu, würden die beiden vermutlich auch daraus noch im Sinne Armstrongs gute, ach was, überragende Musik machen und einen Abend, den man so schnell nicht vergisst. Denn genau so einen erlebte das Publikum im ausverkauften Birdland, Jazz-Fans und Klassik-Freaks gemeinsam und unter Aufhebung jeglichen Fraktionszwangs.