Maria Baptist Quintet | 12.04.2024

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Das wirklich Schöne am Jazz sind doch immer wieder die Überraschungen. Man betritt mit einer vorher sorgsam zusammengebastelten Erwartungshaltung einen Veranstaltungsort, und zum Glück wird diese in nicht wenigen Fällen schon nach einigen Sekunden nach allen Regeln der Kunst zertrümmert. Wie aktuell im Fall der Pianistin Maria Baptist.

Die 53-jährige Berlinerin galt nach ihren bisherigen Visiten im Neuburger Birdland-Jazzclub eher als kühle Konstrukteurin von komplizierten Noten-Arithmetik. Und dann überrumpelt einen förmlich ein Stück wie „Appartement #3“, eine Reminiszenz an Baptists Zeit in New York; heiß und fettig, massiv und modern swingend, voller Adrenalin und zupackender, innerer Kraft. Das hätte man so nicht erwartet. Was sicherlich an ihrer Expansion vom Solopiano hin zum Quintett liegt: Ein gänzlich anderes Klang-Outfit mit zwei extrem kompetenten und flexiblen Saxofonisten – Dauerpartner Jan von Klewitz am Alto und Richard Maegraith am Tenor und an der Bassklarinette – sowie eine Rhythmussection mit dem Bassisten Fabian Timm und dem kurzfristig eingesprungenen Nürnberger Drummer Julian Fau, die eine Basis erzeugt, auf die sich ein Wolkenkratzer bauen lässt. Auch die anderen Titel, die sie dem Publikum an diesem Abend im einmal mehr gut gefüllten Hofapothekenkeller serviert, bestechen durch tiefgehende Substanz, starke Melodien, extreme Kontraste und multistilistische Elemente. Maria Baptist gelingt es, all dies in jeder Sekunde zu kontrollieren und auf einen schlüssigen Punkt zu bringen.

Im Prinzip sind es durch die Bank Geschichten, die sie selbst erlebt oder ersonnen hat, mitunter auch ältere Kompositionen, die die Berlinerin stetig weiterentwickelt. „After The Darkness“ ist so ein Exempel, bei dem nach dem gleißenden Intro der Pianistin die beiden Saxofonisten in einem fast traumwandlerischen Unisono die dunklen Wolken wegschieben. Oder das kribbelnde „Midnight Rain“ mit einem ganzen Bündel an herausragenden Einzelbeiträgen, aus der aber vor allem Maria Baptists Solo in jeder Hinsicht heraussticht. Es entpuppt sich als grandioses Zeugnis ihres rhapsodischen, frei fließenden Klavierstils, der an Bill Evans oder Keith Jarrett in deren besten Zeiten erinnert. Überhaupt stellt sich nach zwei Stunden voller Kurzweil einmal mehr die Frage, warum diese Frau nach über 30 Jahren unermüdlicher Arbeit als Komponistin, Arrangeurin, Orchesterleiterin oder Pianisten, nach 16 Alben, mehr als 250 herausragenden Kompositionen sowie gar einem symphonischen Werk („Triologie einer Metamorphose“) und Vergleichen mit Legenden wie Maria Schneider, George Gruntz, Jim McNeely oder Carla Bley immer noch als Geheimtipp unter dem Radar läuft.

Allein wie Baptist ihre Combo „auf Linie bringt“, wie sie um die Band im wahrsten Wortsinn ein festes Band schlingt, bei dem nichts, nicht einmal der Aushilfsschlagzeuger, aus dem Gefüge herausbröckelt, das ist eine formidable Meisterleistung, die sich auch in der erlesenen Qualität der subtilen, balladesken und temporeichen Kurzgeschichten widerspiegelt. Im Prinzip spielen Jan von Klewitz, Richard Maegraith, Fabian Timm, Julian Fau und Maria Baptist exakt die Songs ihres aktuellen Albums „Essays On Jazz“ – in derselben Reihenfolge bis zur Zugabe „Goodbye“. Insofern scheint klar, dass es sich trotz aller improvisatorischer Schwerpunkte um Programmmusik handelt; sorgsam geprobt, hinreißend umgesetzt, auf jedes noch so kleine Detail achtend. Ein rares Erlebnis. Wie die Verabschiedung für eine Frau, die zumindest im Birdland längst nicht mehr als Geheimtipp gilt. Aber auch diesen frenetischen Schlussapplaus für eine rein deutsche Band hätte man nicht unbedingt erwarten dürfen.