„The Lady Sings The Swing“ | 27.05.2023
Da gibt es diesen einen Moment im zweiten Set, bei dem einem schlagartig klar wird, dass diese Band gerade im Begriff ist, die Grenzen des Geprobten, des Einstudierten hinter sich zu lassen. Irgendwann spielen sie im Hofapothekenkeller einfach drauf los, lassen sich treiben in diesem reißenden Strom aus Adrenalin und Dopamin, genießen sich und das Publikum und haben damit – vermutlich ohne sich das konkret vorgenommen zu haben – genau die Stufe erreicht, auf der Jazz eben passiert. Mallets & Friends, die Formation um den omnipräsenten Neuburger Vibrafonisten Bernhard Reitberger, klingt an diesem Pfingstsamstag längst nicht mehr wie eine Amateurcombo, sondern überflügelt in punkto Spielfreude, Dynamik und Überraschungen so manche Profitruppe, die in den zurückliegenden Wochen an selber Stelle dem leidigen Klischee, dass Jazz offenbar doch eine pottlangweilige Kunstform sein muss, für viele leider neue Nahrung gab.
Doch dem ist beileibe nicht so! Das beweisen Reitberger und Co. diesmal in der Tat überzeugend. Zum ersten Mal nach der Corona-Pause dürfen er und seine erfahrenen Kolleginnen und Kollegen wieder das Birdland nach allen Regeln der Kunst auseinandernehmen. Vor der Pause tun sie dies im Überschwang der Gefühle noch ein bisschen zu laut, doch nach erfolgreicher Sound-Feinjustierung schnurrt die Swing-Maschine wie ein Kätzchen, was auch an dem kurzfristig eingesprungenen Schlagzeuger Joachim Holzhauser und dem unscheinbaren, aber höchst effektiv intonierenden Bassisten Ted Matschi liegen mag. Überdies greift die Combo nicht auf die „üblichen Verdächtigen“ des Great American Songbook zurück, sondern bedient sich eher selten gespielter Standards wie des souligen „Walk Tall“ von Cannonball Adderley oder „Canʼt Get Out Of This Mood“ von Grammy-Gewinnerin Samara Joy, die just denselben Song im April vergangenen Jahres an gleicher Stelle im Birdland performte. Dass Vokalistin Angela Siegert daraus eine ganz eigene Version strickt und sich nicht sklavisch an die berühmte Vorlage hält, wirft ein bezeichnendes Licht auf das selbstbewusste Spektrum von Mallets & Friends: Durch ihr jahreslanges Zusammenspiel haben die Musikerinnen und Musiker längst eine gewisse Eigenständigkeit entwickelt, was nicht nur die wunderschöne Version von Nat King Coles „Nature Boy“ belegt.
Natürlich nehmen Bernhard Reitbergers „Mallets“, also die perkussiven, genüsslich mit vier Schlegeln in alle harmonischen Himmelsrichtungen ausufernden Impros auf dem Vibrafon, den mithin größten Raum ein. Doch auch das fein ziselierende, sicher phrasierende Altsaxofon von Christoph Zoelch bietet so manch willkommenen Kontrast, auch wenn der Bläser dabei oft minutenlang nur vom Bühnenrand zuschauen und zuhören darf, wie Angela Siegert auf charmante Weise jeden Song kapert. Die Frau mit den zwei Mikrofonen (eines für die Ansagen, das andere für den Gesang) intoniert derweil die Eigenkomposition „Popsicle Toes“ oder das fulminante „Your Mind Is On Vacation“ von Mose Allison, bei dem die Hitze im Birdland von Takt zu Takt zu steigen scheint, nicht zuletzt auch dank Zoelchs bluesigem Intermezzo sowie dem aufregenden Wechselspiel zwischen der Vokalistin und Reitberger. In der prickelnden Zugabe „Fever“ zieht die Band noch einmal alle Register, schleicht herrlich, geführt von Matschis Bass-Intro, durch den nächtlichen Keller, entwickelt einen knisternden Groove und hält schlussendlich dabei alle Versprechungen. Mehr darf und kann man von einer Formation dieses Zuschnitts wirklich nicht verlangen!