Louis Hayes Quintet | 26.01.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die Zeit schluckt ihre Helden und spuckt sie an einem bestimmten Punkt des Lebens einfach wieder aus. Louis Hayes hätte nach Art Blakeys Tod problemlos in dessen Fußstapfen als Talentscout und drummende Vaterfigur treten können. Stattdessen radierten die 90er den gutmütigen Timekeeper, der mit Horace Silver, John Coltrane, Oscar Peterson und Cannonball Adderley dem Modern Jazz Gestalt verlieh, fast völlig von der öffentlichen Bühne aus.

Warum das Stehaufmännchen nun plötzlich wieder in Erscheinung tritt – keiner es weiß so ganz genau. Doch schon nach wenigen Takten des fulminanten Jubiläumskonzertes im brechend vollen Keller unter der Neuburger Hofapotheke fällt es jedem im Publikum wie Schuppen von den Ohren: diese Mann und seine grandiose Workingband waren einfach überfällig. Sie geben dem Jazz etwas von seiner verlorenen Mitte zurück und grenzen sich mit ihrer virtuosen, unnostalgischen Hardbop-Struktur gegen alle zeitgeistigen Dünnbrett-Bohrer ab, wie einst „Blue Note“ gegen die Westcoast-Mode.

Darüberhinaus lässt Louis Hayes der Öffentlichkeit endlich wieder die Vorzüge seiner untrüglichen Spürnase zugute kommen, mit der er bereits in der Vergangenheit viele inzwischen arrivierte Instrumentalisten in den Mittelpunkt des Interesses hievte. In Neuburg organisierte eine glamouröses Showcase für zwei neue funkelnde Rohdiamanten: den Trompeter Riley Mullins und Abraham Burton, den er mit dem sicheren Instinkt des Vollblutmusikers sanft vom Alt- zum Tenorsaxofon lenkte. Welche weise, fast schon geniale Eingebung!

Jener Burton war an diesem schweißtreibenden Abend, den auch der Bayerische Rundfunk für seine Hörfunkreihe „Jazz auf Reisen“ aufzeichnete (Ausstrahlung im März) schon alleine das gesamte Eintrittsgeld wert. Während es dem muskulösen Sunnyboy früher am Alto etwas an adäquater Substanz fehlte, lässt er nun mit dem voluminöseren Tenor förmlich die tragenden Säulen des mittelalterlichen Gewölbes erbeben. Der Mann spielt nicht einfach nur ein Solo. Er erlebt und leidet vielmehr jede darin befindliche Note, hangelt sich unter größtmöglichen Anstrengungen auf zerklüfteten Skalenleitern empor, trotzt allen Gegenwinden mit atemberaubenden Überblastricks und verfügt über Strahlkraft eines Feuerstoßes.

Wenn sich Burton dann mit den scharfkantigen Riffs und brodelnden Growls des Trompeters Mullins duelliert, dann brennt im „Birdland“ förmlich die Luft. Für den farbigen, vor allem durch seine Comping-Technik bestechenden Pianisten David Hazeltine, den kunstvoll-verschlungene Linien knüpfenden Bass-Grande Cecil McBee und Altmeister Hayes bleibt da nur noch, den Laufsteg für die beiden Söhne im Geiste mit eher unbekannten, aber dafür maßgeschneiderten Standards wie Joe Zawinuls „Mystified“, J. J. Johnsons „Interlude“ oder Kenny Drews „Lions Den“ zu schmücken.

Gerade diese Selbstlosigkeit rückt jedoch auch Papa Louis mit bald 64 Jahren endlich in Legendennähe. Ein wahrlich verdientes Happyend!