Ein Piano hat 88 Tasten, 52 weiße und 36 schwarze. Aber woran erkennt man, ob ein Klavier nun „jazztauglich“ ist, ein Wort, das im Zusammenhang mit dem jüngsten Jubiläum der Birdland-Premium-Reihe „Art Of Piano“ im Neuburger Jazzclub immer wieder Erwähnung fand? „Erstens an der Größe, dem Resonanzraum“, erklärt Larry Porter am Samstagabend einem staunenden Publikum vor Beginn des Konzertes im brechend vollen Hofapothekenkeller. „Zweitens am warmen, anziehenden, emotionalen Ton an und drittens am Anschlag, weil ein Piano nun mal ein Perkussionsinstrument ist.“
Aha, nun wissen wir also Bescheid! Dass der Profi Porter zuvor die Frage nach der angeblichen Jazztauglichkeit eines Flügels etwas nüchterner, pragmatischer beantwortete, soll allerdings nicht unerwähnt bleiben. Er soll gut klingen. Das sei genauso wie bei Autos, bei denen auch nicht jedes wie das andere gebaut werde. Der amerikanische Pianist muss es schließlich wissen. Immerhin oblag ihm die Ehre, vor 33 Jahren das Bösendorfer Grand Piano 200 in der Wiener Klaviermanufaktur auszusuchen, der seither im Birdland-Jazzclub steht, für unzählige Sternstunden sorgte und einen gewaltigen Anteil am Erfolg des internationalsten aller Neuburger Kulturträger besitzt. Auch durfte der seit langem in Berlin lebende Amerikaner 1991 das erste Konzert von „Art Of Piano“ aus der Taufe heben. Da schien es nur logisch, den heute 72-Jährigen auch für die 250. Auflage wieder an die Donau zu holen. Eine feine, nicht nur der Tradition verpflichtete Idee!
Denn Larry Porters Pianistik, die er im Hofapothekenkeller mit dem Bassisten Max Leiss und dem Schlagzeuger Jan Leipnitz ausbreitete, besticht immer noch durch eine zeitlose Wandelbarkeit, gleich einem Chamäleon an den Elfenbeintasten. Die Besonderheit besteht darin, Stücke unterschiedlichster Stimmungen, Tempi, Stile und Farben wie ein Erzähler zu strukturieren, mit einer gediegenen Einleitung über den Höhepunkt bis zum Schluss. Es ist eine kleine, unspektakuläre, aber überaus effektive Kunst, bei denen es irgendwann nicht nur um Geschichten geht, sondern auch um die dazu passenden Bilder, die plötzlich vor dem geistigen Auge auftauchen. Gut, über die (deutschen) Titel kann man trefflich streiten. Sie wirken mitunter kitschig, fast ein wenig esoterisch. Aber sie passen irgendwie zur Musik. „Wonne“ ist eine verhangene Träumerei, „Zauberreich“ eine Ballade, die exakt für die Phase zwischen Rem-Schlaf und Morgendämmerung geschrieben worden scheint, und bei „Tor der Seele“ klingt die Musik um ein Vielfaches besser als der Name des Songs.
Der „Fetzenwalzer“ wäre der ideale Soundtrack für einen gepfefferten Hexentanz am kommenden Unsinnigen Donnerstag, der freche Blues-Stride „Streng Geheim“ mit witzigen Stolperern von düsteren Gestalten transportiert einen schlagartig in die Szenerie eines Agentenaustausches auf einer Glienicker Brücke in Berlin zu Zeiten des Kalten Krieges, und die Zugabe „Blues unterm Strich“ lüftet endlich wieder den Blick auf Larry Porters große Liebe, die tapsigen Synkopen eines Thelonious Monk, die kein zweiter Pianist derart kreativ in die Gegenwart zu transportieren versteht.
Aber dieses Trio besitzt auch eine andere Tugend, sich nämlich gegenseitig Freiraum zu gewähren, einander zuzulassen, sich etwas zu gönnen, anstatt permanent selbst glänzen zu wollen. Die Soli verzahnen sich so eng ineinander, dass es beinahe keine Soli mehr sind, sondern nur mehr markante instrumentale Farbtupfer, die dem Publikum kaum Raum für den üblichen Szenenbeifall lassen. Leiss nimmt dabei dankend die Rolle der Hauptschlagader dieses großen musikalischen Kleinorganismus an, pumpt unaufhörlich frisches, harmonisches Blut in den Kreislauf, und freut über die enorme Vitalität der Combo, ebenso wie Drummer Leipnitz, dem selbst zu langweilen Besenvierteln immer wieder neue Überraschungen einfallen, und natürlich Porter.
Am Ende eines denkwürdigen Abends stellen sich der Protagonist und Birdland-Chef Manfred Rehm nur noch eine Frage: Warum musste es 22 Jahre seit dem bislang letzten Gastspiel 2002 und heute dauern, um den Bösendorfer endlich wieder mal auf Herz und Nieren zu prüfen und dessen Klangfülle in voller Neige auszukosten? Keiner weiß es genau, nur dass es fort wieder regelmäßig Konzerte von Larry Porter, dem Vater des Bösendorfer-Flügels, in Neuburg geben soll. Eine vielversprechende Perspektive eines großartigen Jubiläums, das am heutigen Montag auch in der Abendschau des Bayerischen Fernsehens ab 17.30 Uhr noch einmal nachvollzogen werden kann.