Kirk Lightsey ist eine musikalische Legende in zweifacher Hinsicht. Zwei Tage vor seinem Konzert im Birdland in Neuburg, dem einzigen in Deutschland im Rahmen seiner Tournee, ist er 87 geworden. Zum einen war er als Jazzmusiker aus Detroit, Michigan, Partner von Dexter Gordon, Chet Baker und und Betty Carter, zum anderen Pianist in der Hausband des dort ansässigen Motown-Labels, weswegen er auf unzähligen Hits von Marvin Gaye bis zu den Temptations zu hören ist.
Lightsey, den man durchaus in einem Atemug mit Tommy Flanagan und Earl Hines nennen darf, verbinde, wie er selber sagt, das Bewusstsein eines Bud Powell, das Styling eines Art Tatum und das Feeling des Bebop. Auf dieser Basis komponiert er eigenes Material wie „Brother Rudolph“ oder „Heaven Dance“ oder bearbeitet Stücke von Kollegen wie Tony Williams („Pee Wee“), Dave Brubeck (In Your Own Sweet Way“) oder McCoy Tyner („Blues On The Corner“). Aus diesen vielfältigen Aktivitäten bietet er im Birdland, sichtlich gut gelaunt, einen höchst abwechslungsreichen und spritzigen Querschnitt. Zusammen mit Steve Watts am Kontrabass, Sangoma Everett am Schlagzeug und als Gast dem Londoner Tenorsaxofonisten Alex Hitchcock kommt er direkt aus Lausanne mal eben schnell nach Neuburg, bevor es tags darauf weitergeht nach Paris. Über zwei Stunden hält er die Fäden in der Hand, dirigiert seine Mannschaft, hält vor allem mit Everett engen Blickkontakt. In der Tat, der Mann ist nach wie vor topfit, sein Anschlag ist immer noch kräftig und prägnant. Lightsey ist kein Vielspieler, der bei jeder Gelegenheit zu rasanten Soli ansetzen müsste, obwohl seine blendende Technik durchaus immer wieder aufblitzt, nein, er ist vor allem der Impulsgeber, der Bandleader, der seinen Kollegen auf elegante, souveräne, aber niemals vordergründig-spektakuläre Weise die Richtung vorgibt. Seine Verzierungen sind immer originell, seine Akzente bewusst gesetzt. Hier spielt kein Pianist, der sich selbst noch irgendetwas beweisen muss, sondern ein Musiker, dessen Stilistik längst einzig ist innerhalb der Branche. Nicht er orientiert sich an irgendwelchen Kollegen, sondern sie sich an ihm.
Wenn es bei seinen Eigenkompositionen in Richtung Soul-Jazz geht, fühlt er sich ebenso wohl wie bei den Adaptionen. Seine Version von Ellington’s „Take The A-Train“ ist ebenso bemerkenswert wie „Goodbye Mr. Evens“, das Phil Woods 1981 zum Andenken an den großen Pianisten Bill Evans geschrieben hat. Während Steve Watts seinem Bandleader auf Schritt und Tritt folgt, ist Everett der Mann der ständigen Rhythmuswechsel, was vor allem bei John Coltrane’s „Spring Is Here“ deutlich wird und der Band gleich mit dem ersten Stück höchste Konzentration abverlangt. Hitchcock hat sich nach nur wenigen Auftritten mit Lightsey’s Stammtrio bereits bestens akklimatisiert, steuert immer wieder straighte Soli mit langen Linien bei und wird nicht umsonst als eines der großen Talente im britischen Jazz gehandelt.
Am Ende ist die Begeisterung im Publikum groß. Diese 120 Minuten waren eine echte Demonstration und eine Bestätigung der These, dass Jazz jung hält. Und weil Lightsey im Verlauf seiner Tournee „Happy birthday to you!“ und „Joyeux anniversaire!“ bereits zur Genüge gehört hat, singt das Publikum geschlossen eben auf deutsch „Zum Geburtstag viel Glück!“, was den Jubilar sichtlich sehr freut.