Kenny Barron Trio | 25.04.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wenn der Birdland-Jazzclub alle Jubeljahre mal unter der Woche öffnet, dann muss der Anlass schon ein ganz besonderer sein. 2023 ist dies jetzt bereits zum zweiten Mal passiert, und stets für ein und denselben Künstler. Nur acht Wochen nach seinem fulminanten Quintett-Auftritt am Faschingsdienstag hieß es jetzt wieder: Kenny Barron is in da house! Der weltbeste Pianist, wenn es nach dem amerikanischen Fachmagazin Down Beat geht, und der vielleicht bedeutendste lebende, noch aktive Jazzmusiker neben Pat Metheny, genießt bescheiden den imaginären roten Teppich, dem ihm Birdland-Impresario Manfred Rehm, ausgelegt hat, um den bevorstehenden 80. Geburtstag des freundlichen, nahbaren Weltstars gebührend zu feiern und die immense Nachfrage aus dem gesamten Bundesgebiet zumindest halbwegs zu befriedigen.

Um die Bedeutung des hochkarätigen Gastes einigermaßen zum umreißen, sei ein Gast aus Thüringen zitiert, der den New Yorker Pianisten als den „Paul McCartney des Jazz“ bezeichnet. Bei Lichte betrachtet geht das tatsächlich in die richtige Richtung, denn Barron ist eine stille, lebende Legende von erstaunlicher Vielseitigkeit und Nachhaltigkeit, wie auch der aktuelle Abend in seinem Lieblingsformat, dem Trio, eindrucksvoll unter Beweis stellt. Aus schnöden, kargen Standards wie „How Deep Is The Ocean“ schmiedet er an den 88 Elfenbeintasten des Bösendorfer-Flügels regelmäßig kleine Edelsteine, leitet von der Eingangssequenz im Harlem Stride in impressionistische Girlanden über, um sich schließlich in den melodietrunkenen Ozean des Songs fallen zu lassen. Themen wie Charlie Hadens „Nightfall“, das er 1998 an gleicher Stelle mit dem Bassisten höchstpersönlich zelebrierte, breitet der Pianist wie eine bezaubernde Liebesgeschichte aus, so akribisch und behutsam wie eine Operation am offenen Herzen. Immer wieder ein Höhepunkt sind Kenny Barrons musikalische Kniefälle von seinen Idolen Abdullah Ibrahim („The Mountain“) und Thelonious Monk, dem er mit der Gary Bartz-Nummer „Uncle Bubba“ huldigt. Und dann gibt es da noch die selbst komponierten Stücke wie das rauschhaft fröhliche „What Else Calypso“, das hektische „New York Attitude“, bei dem Eile, Tempo, Neobop und rasende Klavierfahrten dominieren, sowie das atmende, warme „Cookʼs Bay“, das Bilder, Emotionen, das Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen und sogar wärmende Sonnenstrahlen evozieren kann.

Ohne Begleiter vom Kaliber eines Kiyoshi Kitagawa am Kontrabass und vor allem eines Johnathan Blake am Drumset wäre diese faszinierende Farbigkeit jedoch kaum möglich. Während Kitagawa mit den schönsten Linien, die seit langem im Hofapothekenkeller erklangen, die Strukturen zusammenbindet, offenbart Blake einmal mehr, welch genialer Schlagzeuger er inzwischen ist. Seine Soli erweisen sich als megaspannende Hörspiele, bei denen man nur wegen seiner behutsam nuancierten Finger-, Sticks- und Beseneinsätze glaubt, bisweilen durch einen U-Bahn-Tunnel zu marschieren. Die drei formen intuitive kleine Klangwunder, Musik, die unauslöschlich im Kopf bleibt, jederzeit abrufbar, weit über den Nachhauseweg hinaus, mindestens bis zum 3. Oktober. Dann kommt Kenny Barron zum dritten Mal in diesem Jahr tatsächlich von New York nach Neuburg – ins Stadttheater für eines seiner seltenen Solokonzerte.