Julia Hülsmann im Birdland? Das hatten wir schon öfter. Alle paar Jahre mal gastiert die Pianistin und Komponistin aus Berlin in Neuburg. Jedes Mal hat sie ein anderes Projekt im Köcher, diesmal heißt es „Under The Surface“, ist auf ECM als CD und LP erschienen und liefert den Stoff für einen in hohem Maße interessanten Abend, den sie mit ihrem seit nunmehr 23 Jahren bestehenden Trio (Marc Muellbauer am Kontrabass und Heinrich Köberling am Schlagzeug) bestreitet, das durch die Mitwirkung des vor geraumer Zeit zur Band gestoßenen Tenorsaxofonisten Uli Kempendorff zum Quartett wurde.
Es ist dieses ungemein lustbetonte Spiel mit Melodien und Rhythmen, das den Abend zum einen Teil bestimmt, die nach Art eines Chamäleons sich ständig ändernden Farben und Ansätze innerhalb der Kompositionen, die daraus sich enwickelnden Schattierungen. Die changierenden Blickwinkel, mit der die Pianisten den Stücken verschiedene Aspekte entlockt, die „They Stumble, They Walk“ und „May Song“ gleich zu Beginn des Konzerts ihren unverwechselbaren Charakter verleihen, bekommen mit „Milkwood Monarch“ auch vom Titel her ihre Entsprechung. Mit dem Monarch ist der Schmetterling gleichen Namens gemeint, und wenn der mit den Flügeln schlägt, hat das – laut Chaos-theorie zumindest – ja oft ungeahnte Folgen. Bei diesem Quartett heißt das freilich: Spielerische Leichtigkeit, Ergebnisoffenheit und kreative Freiheit, Faktoren also, die ein Konzert spannend machen, aber in diesem Fall gar nichts mit Beliebigkeit zu tun haben.
Denn auch Zielstrebigkeit, Organisation und ein fest umrissenes Konzept sind wichtig an diesem Abend. Zum Beispiel die Einpassung eines Popsongs – in diesem Fall „Rolling In The Deep“ von Adele – in ein ansonsten eher lyrisch ausgerichtetes Stimmungsbild, das sanft gleitende „Bubbles“ als Gegengewicht zum bebopartigen „Jetzt noch nicht!“, das recht straff organisierte „Nevergreen“ gegenüber dem Titelstück des aktuellen Albums, das auf einem ausgetüfteltem Akkordsystem und einem wohl überlegten Aufbau mit A- und B-Teil beruht. Und dann ist da neben dem warmen, wohligen „The Earth Below“ ja auch noch „Anti Fragile“, das „Wutstück“ Hülsmanns als deutlich hörbares Statement gegen Kunstfeindlichkeit und kulturelle Verarmung und die damit einhergehende gesellschaftliche Verrohung, bei dem sie es gegen Ende hin – für ihre Verhältnisse – recht ordentlich krachen lässt.
Überlegte Organisation bei gleichzeitiger Bereitstellung und Ausnutzung improvisatorischer Freiräume, komprimierte Abläufe und trotzdem genügend Platz für das kreative Moment bei allen Beteiligten.Vielleicht zeitigt diese Vorgehensweise deswegen ein so charmantes, farbenfrohes und schillerndes Ergebnis, weil jeder Musiker nicht nur als Solist und Ensemblespieler sein Scherflein beiträgt, sondern auch als Komponist, und nur aus dem Team heraus etwas Ganzes wachsen, eine Band einen Gesamtsound und eine eigene Sprache innerhalb des Modern Jazz entwickeln kann. Das Publikum würdigt das mit lang anhaltendem Applaus und dem dringenden Wunsch nach Zugabe, vermutlich nicht nur aus Hochachtung der musikalischen Leistung der Beteiligten gegenüber, sondern weil es genau spürt, dass an diesem Abend alles auf sehr schöne Weise„stimmig“ ist.

