Joey Calderazzo Trio | 22.03.2025

Donaukurier | Karl Leitner
 

„Er will doch nur spie­len“. Hundebesitzer auf Gassi-Tour fin­den den Satz ausgesprochen süß, Jogger hassen ihn. An diesem Abend könnte er – in positivem Sinne – auch für den Pia­nisten Joey Calderazzo gelten. Er will einfach nur spielen bei seinem Konzert im Birdland, ohne Set- oder Playlist, ohne Vorgaben und – ja, tatsächlich, auch wenn’s sonderbar klingt – ohne Plan. Bassist Orlando LeFleming, der ihn zusammen mit dem Schlagzeuger David Hawkins tatkräftig unterstützt, antwortet in der Pause auf die Frage, was wir denn im zweiten Set erwarten dür­fen: „Keine Ahnung. Joey entscheidet das ganz spontan und jeden Abend an­ders.“

Der Pianist aus New Rochelle, New York, der McCoy Tyner als Vorbild nennt, aus dessen rechter Hand sich un­ablässig in atemberaubendem Tempo und in ständigem Wechsel zwischen Staccato und Legato ein Strom von Tö­nen ergießt, dessen Linien laut Aussage seines einstigen Lehrers Richie Beirach „eine erstaunliche Energie aufweisen und der swingt wie wild“, setzt nicht auf vorgegebene Spielregeln, dafür aber um so mehr auf Phantasie, Kreativität und Spontaneität. Wie bei Kindern, denen einfachste Mittel oft genügen, um sich spielerisch in ihre eigene Welt zu verset­zen, indem sie ihrer Phantasie einfach freien Lauf lassen und sich von nichts und niemandem dabei stören lassen, lässt auch Calderazzo sich lieber treiben, statt sich an Noten oder Arrangements zu ori­entieren. Er schnappt sich die Melodie irgendeines Standards und macht daraus aus dem Augenblick heraus eine neue Komposition, die aber nur Gültigkeit hat für diesen einen Abend, weil morgen sei­ne Stimmung, die Stimmung im Audito­rium oder die Umstände allgemein ganz anders sein könnten und deswegen Klas­siker wie „Someday My Prince Will Come“, „I’ve Never Been In Love Befo­re“, „All God’s Chillun Got Rhythm“ und „All God’s Creatures“ oder auch Keith Jarrett’s „Rainbow“ – sofern Calderazzo sie überhaupt zweimal hin­tereinander spielt – in ganz anderem Ge­wand daherkommen würden.

Niemand möchte sich stören lassen, wenn er gerade dabei ist abzutauchen in seine eigene Welt, wenn seine Phantasie sich auf einem Höhenflug befindet, er sich ganz diesem Erlebnis widmen und sein Publikum auch daran teilhaben las­sen will. Vielleicht ist das der Grund da­für, dass er außer der Begrüßung und der Verabschiedung nicht mit seinem Publi­kum spricht. Kommunikation fördert die emotionale Verbundenheit, in diesem Fall aber übernimmt diese Aufgabe die Musik, die Calderazzo – unterstützt vom mächtigen, voluminösen Ton des Bassis­ten und einem Schlagzeuger mit feinem Gespür für die passende dynamische Do­sis an passender Stelle, seinem Publikum anbietet. Und als ihm zufällig im Laufe einer Improvisationen „Rudolph The Red-Nosed Reindeer“ über den Weg läuft, ist selbst er einem Späßchen nicht abgeneigt. „Kennt ihr das? Fröhliche Weihnachten!“

Als Calderazzo nach dem Konzert im Birdland, dem Club, in dem er schon mal aufgetreten ist, auf den Tag genau vor elf Jahren nämlich, sich auf den Weg in die Garderobe macht, hat er ein breites La­chen im Gesicht. Er scheint zufrieden zu sein mit dem Abend. Das Publikum ist deutlich hörbar mehr als das und fordert begeistert eine Zugabe. Die Calderazzo, LeFleming und Hawkins natürlich gerne gewähren.