Regelmäßig kurz vor Ende des Winters kursieren Meldungen über zur Neige gehende Energievorräte und einen möglichen Tod wegen Erfrierens. Von wegen Energieknappheit! Mit dem Feuer und der Verve, die an diesem Abend Jermaine Landsbergers „Paris“-Trio im Birdland entfacht, könnte man problemlos auch weitaus größere Räumlichkeiten heizen als das Gewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke.
Dabei sind Pianist Landsberger und seine beiden jungen Kollegen William Brunard am Kontrabass und Raphael Pannier am Schlagzeug, die er aus Paris mitgebracht hat, eigentlich doch nur ein Piano Trio, wie es so viele gibt im Jazz. Ja, eigentlich schon, in der Realität aber eben nicht, was unter anderem an besagter Energie liegt. Mit ihr kann man laut Definition Arbeit verrichten und Wärme erzeugen, in diesem Fall aber ist sie der entscheidende Faktor für ein sensationelles Konzert, bei dem die Musiker regelrecht zu bersten scheinen vor Tatendrang und Leidenschaft.hbh Das Eröffnungsstück „Romanes“ – das ist die Bezeichnung für die Sprache der Sinti und Roma, auf die Landsberger immer wieder Bezug nimmt – ist der Brandbeschleuniger, anschließend wird pausenlos nachgelegt, was in der Summe ein absolut „heißes“ Konzert ergibt.
Diese Folge mit der Nummer 267 der Birdland-Reihe „Art Of Piano“ wird vermutlich in die Annalen eingehen. Landsberger hat schon öfter – etwa bei seinem Birdland-Auftritt mit Biréli Lagrène im Januar 2016 – bewiesen, dass er einen Konzertsaal in ein Tollhaus verwandeln kann. Das weiß man, aber es ist schon immer etwas ganz besonderes, ihm dabei zuzuschauen und zuzuhören, wenn er es tatsächlich tut. Mit eigenen Stücken wie „La Parisienne“, „Gypsy Night In Budapest“ und „With Heart And Soul“, mit Keith Jarrett’s „So Tender“ – ja, jener hat tatsächlich neben seinem legendären „Köln Concert“ noch weitere Großtaten vollbracht – und sogar Fritz Kreislers „Liebesleid“, mit Fingern, die nur so über die Tasten rasen oder bei Bedarf den ganzen Wehmut und die ganze Tragik seines Volkes in ein paar Akkorde packen. Mit zwei Begleitern, deren Namen man sich fürderhin unbedingt merken muss, weil es einem fast den Atem raubt, wenn man ihnen zuhört und zusieht. William Brunard, der seine Töne fast slide-artig anvisiert, sie in den Raum stellt wie eine Wand, um nachher bei seinen Soli leichtfüßig um sie herumzutänzeln. Und dann Raphael Pannier, ein echter Teufelskerl an den Trommeln und Becken. Man hat wahrlich schon viele herausragende Schlagzeuger im Birdland sehen können, Pannier aber kombiniert die Arbeit von Armen und Beinen auf eine Art und mit einer Geschwindigkeit, die einen schwindelig macht, weil man mit den Augen einfach nicht mehr mitkommt.
Dieses sagenhafte Trio hat Landsbergers musikalische Heimat längst verlassen und treibt sich in ganz anderen Regionen herum als viele seiner Kollegen aus dem Gypsy Swing-Lager. Ganz verleugnet er seine Herkunft freilich nicht. Sein „Valse Manouche“ ist – unter Mithilfe dieser wie entfesselt aufspielenden Rhythmusgruppe – wieder mal eine Offenbarung und bei Django Reinhardt’s „Nuages“ schmilzt das Publikum einträchtig und kollektiv dahin. Selbiges ist übrigens komplett begeistert, das ganze Konzert hindurch und am Ende ganz besonders. Was angesichts dieses Wahnsinns-Trios auch überhaupt nicht verwunderlich ist.