Jason Seizer Quartet | 26.03.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Filmmusik oder auch nur kleine Sequenzen daraus als Basis für individuelle Improvisationen auszuwählen und das Ergebnis dem Publikum darzubieten, ist ein reizvolles Unterfangen, aber auch ein schwieriges. Der Tenorsaxofonist Jason Seizer tut genau dies seit einiger Zeit zusammen mit seinem New Quartet, dem neben dem Pianisten Pablo Held auch Fabian Arends am Schlagzeug und der dänische Kontrabassist Jonas Westergaard angehören. So auch im Birdland in Neuburg.

Auf dem Weg von der Leinwand in die Gehörgänge der Hörerschaft kann so einiges passieren. Tut in diesem Fall auch, und zwar reichlich. Das „Vertigo Love Theme“ aus dem berühmten Hitchcock-Thriller, eine Melodie aus John Huston’s „Die Spur des Falken“ mit Humphrey Bogart, Antonionis „Blow Up!“ mit Herbie Hancock’s „Naked Camera“ als musikalischem Fußabdruck, „Die Faust im Nacken“ mit Marlon Brando, „Endstation Sehnsucht“ und „Das Dschungelbuch“ – das sind die Quellen, in denen die vier Musiker, allesamt begeisterte Cineasten, gegraben haben und fündig wurden.

Erwartungsgemäß sind das, was sie im Birdland von sich geben, keine Soundtracks, viel eher wagemutige Bearbeitungen derselben. Die Musik, die einst speziell für den jeweiligen Film geschrieben wurde, wird hier absichtlich von ihm abgekoppelt, bearbeitet, verändert, neu interpretiert. Für den Zuhörer wäre es optimal, wenn er die Originale im Kopf hätte, damit er die deutlichen Unterschiede zwischen den einstigen Kino- und den aktuellen Konzertversionen besser erkennen kann. Aber wer hat das schon? Und wer könnte das ohne vorherige Kenntnis der Setlist? Also geht der Weg anders herum. Man lauscht aufmerksam, lässt sich ein auf die oftmals reichlich verschlungenen Pfade, die das New Quartet einschlägt, spürt vielleicht tatsächlich eine Sequenz auf, die einem bekannt vorkommt – oder auch nicht – , und fängt irgendwann fast automatisch an, sich selber Bilder im Kopf zurechtzulegen, Bilder, die einen an den Film erinnern, Bilder, die aber vielleicht auch gar nichts mit dem Film zu tun haben.

Nicht nur für die Musiker, die die Filmmusiken ganz bewusst als Ausgangspunkte verstehen für eigene Stücke fernab der jeweiligen Vorlage und eben nicht für nahe am Original angesiedelte Covers, ist die Sache ein Wagnis, sondern auch für das Publikum, sieht es sich doch herausgefordert, selber auf Entdeckungsreise zu gehen. Das New Quartet bietet Orientierungshilfen an, zeichnet jedoch nicht den einzig richtigen Weg vor. Den es ja auch nicht gibt. Der Saxofonist Seizer als Verfechter der Kunst des Weglassens, des Abwerfens unnötigen Ballasts, der freiheitsliebende Pablo Held, der vielseitige Fabian Arends und Jonas Westergaard, als Richtungsgeber zuständig für die Erdung – diese vier liefern im Birdland ein Konzert ab, das, vordergründig betrachtet, lediglich eines unter vielen mit Modern Jazz ist. Lässt man sich freilich ein auf das Konzept, das dahinter steckt, lässt man sich vielleicht auch noch dazu verführen, den Musikern auf ihrem Weg zu folgen und am Ende sogar noch selber die Regie für den eigenen Film im Kopf zu übernehmen, wird der Abend zu etwas ganz Besonderem.