Das Lexikon, das alles weiß, definiert Groove als ein bestimmtes Gefühl, das durch Rhythmus, Spannung und Tempo eines Musikstücks erzeugt wird. Im Gegensatz zu maschinell oder digital erzeugten Beats hat er bei denen, die ihn initiieren und bei denen, die ihn wahrnehmen, viel mit Körperlichkeit zu tun, mit dem Herzschlag, dem Puls, der Atmung. Grooves kann man sinnlich wahrnehmen, auf Notenpapier aufschreiben kann man sie nicht.
Das Quintett des Schlagzeugers Guido May hat ihn sich zum Namensgeber erwählt, hat ihn ausdrücklich im Angebot, ja, geht sogar mit ihm hausieren beim Konzert im Neuburger Birdland Jazzclub. Voraussetzung ist absolute rhythmische Tightness, das Gespür für den perfekten Swing, den optimalen Backbeat, der gemeinsame Flow aller Musiker, der sich im Idealfall dann auch überträgt aufs Publikum. Bei dieser Band tritt dieser Idealfall ein. Was zum einen daran liegt, dass May bereits bei der Zusammenstellung der Setlist ein überaus glückliches Händchen hatte. Natürlich dürfen die üblichen Verdächtigen nicht fehlen, wenn es hauptsächlich um den Soul Jazz der Blue Note-Ära in den Sixties geht. Lee Morgan’s „Sidewinder“ ist ebenso unverzichtbar wie Horace Silver der frühe Herbie Hancock, der mit „Driftin’“ vertreten ist und mit ihm auch gleich Freddie Hubbard. Duke Pearson hat seine Spuren hinterlassen und auch Benny Golson meldet sich posthum zu Wort. Was nicht zu erwarten ist, ist die gute Figur, die Ellington’s „Caravan“ von immerhin schon 1936 dank May’s Neufassung als Funknummer hinterlässt und auch, dass sich die „Spätgeborenen“ Tom Harrell mit „Moon Alley“ von 1985 und die Harper Brothers mit der sonderbar betitelten Nummer „1239A“ so gut würden einpassen lassen in dieses zeitliche Umfeld, in dem sich die Elektrifizierung des Jazz, Funk-Jazz und Fusion zwar bereits am Horizont abzuzeichnen begannen, Miles Davis den entscheidenden Schritt hinein in ein neues Genre aber noch nicht vollzogen hatte.
Die Setlist ist das eine, die Musiker, die sie umsetzen, das andere. May, ein quirliger, eminent beweglicher Drummer, treibt seine Kollegen unermüdlich an und vor sich her. Die beiden Bläser (Axel Schlosser an Trompete und Flügelhorn und Till Martin am Tenorsaxofon) erwischen schon bei der Vorstellung der wunderschönen Soul-Jazz-Themen exakt die richtige Dosis an Verve und bleiben bei ihren Soli gerne den Harmonien verbunden, schenken sich also keine übertriebenen Eskapaden, so dass jedes Stück zu einer „runden“ Sache wird. Spricht man von Groove, kommt der Rhythmusgruppe entscheidende Bedeutung zu. Die Allzweckwaffe Thomas Stabenow am Kontrabass sticht wie immer und Julian Schmidt am Piano ist als Grundlagenlegen am Klavier mindestens genauso wichtig wie als flinker und vielseitiger Solist.
Je mehr der Abend voranschreitet, desto mehr gibt es Momente, in denen die Grooves sich scheinbar verselbständigen und das Gewölbe unter der ehemaligen Hofapotheke allmählich zu dampfen beginnt. Die beste Methode, darauf zu reagieren, ist die, sich einfach mittreiben zu lassen und sich dem Flow hinzugeben. Sich dagegen zu stemmen, wäre ja nicht nur unklug, sondern sowieso vergeblich.