Das Piano – 88 Tasten und augenscheinlich nur drei Möglichkeiten, es zu spielen: die laute, die leise und die langweilige. Diese landläufig vorherrschende Meinung muss Geri Allen schon immer unglaublich gefuchst haben. Denn sie entspricht keinem jener Klischees, wehrt sich mit Zähnen und Klauen dagegen, mit den gesichtslosen Einheitsstilisten in einen Topf geworfen zu werden. Die Frau ist unangepasst, eigenwillig, renitent (was die Kündigung bei den beiden führenden Jazzlabeln „Blue Note“ und „Verve“ unterstreicht) und gilt dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – als die schillerndste, vielseitigste Klaviervirtuosin der Gegenwart.
Und launisch soll sie auch noch sein, heißt es, was immer man darunter auch verstehen will. Das Konzert im Neuburger „Birdland“-Jazzclub beginnt jedenfalls schon mal nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt. Die Künstlerin und dreifache Mutter hat da ihre klaren Prinzipien. Obwohl der Laden proppenvoll ist, steht vor allem anderen erst einmal die mit der Müdigkeit kämpfende kleine Tochter. Danach ist der Kopf frei und Zeit für die Musik.
Musik? Ihr kaskadenhaftes, episch langes Eröffnungssolo wirkt eher wie Energie, die sich jäh den Weg ins Freie bahnt. Einer Explosion gleich, fliegen die Akkorde auf den Bösendorfer-Flügel, prasseln die Läufe auf das fassungslose Publikum hernieder, das innerhalb weniger Sekunden für die halbstündige Wartezeit voll und ganz entschädigt wird. Einen solchen Energieausbruch hätte niemand im Hofapothekenkeller von der eleganten Dame aus Detroit, die bei Ornette Coleman und Charlie Haden ganz oben auf der Liste der Lieblingsbegleiter steht, erwartet.
Als die Band schließlich mit den Brüdern Bill (mit schwer daher groovenden Bass-Nebeln) und Mark Johnson (mit rauschhaft chargierenden, manchmal zu dominanten Rhythmusstafetten) einsetzt, wirkt das Trio wie ein auf dem geheimnisvollen Grund des Klangozeans dahin schleichendes U-Boot, das mitten in einer klaffenden Spalte auf die nächsten blues- und avantgardegewaltigen Eruptionen lauert.
Die 43-Jährige aus Detroit liebt den Exzess, eröffnet blitzartig ihren spielerischen Kampf und nagelt die Zuhörer mit jeder Note fester auf die Stühle. Das Pianoforte nimmt Geri Allen zuweilen wörtlich, schlägt die Klaviatur mit der flachen Hand und kehrt mit ausgefeilten Akkorden zum Pianissimo zurück. Wie Skorpione tanzen die Finger aufeinander zu, um alle umherfliegenden Ideen und Einflüsse einzufangen. Manchmal scheint es, als würde ihr die zur Verfügung stehende Tastenzahl nicht mehr ausreichen, dann beschränkt sie sich urplötzlich wieder auf ganz simple, aber höchst effektive ostinate Bassläufe mit der Linken, die den unbeugsamen Gleichmut von Stalagtiten in Tropfsteinhöhlen besitzen.
Aus Tonfolgen entstehen Schattierungen, aus Notenwerten Bilder von atemberaubender Schönheit und aus Improvisationen schält sich langsam die Ehrerbietung für andere nonkonformistische Jazzpianisten wie etwa das ewig verkannte Genie Herbie Nicols oder den beinahe tragisch an der Ignoranz der Plattenindustrie zu Grunde gegangenen Hampton Hawes heraus.
Mit ihnen fühlt sich Geri Allen irgendwie seelenverwandt, sie interpretiert deren Kompositionen und verfolgt damit auch ein klar definiertes Ziel: sich niemals unterordnen oder anpassen. Denn wahre Klasse wird nicht von einem obskuren Trend bestimmt, sondern einzig und allein von der Überzeugung in die eigene Stärke. Davon besitzt diese außergewöhnliche Frau mehr, als in der normierten Welt des Jazz akzeptiert wird. Noch.