Friedrich-Hebert-Moreno, feat. Dave Liebman | 28.01.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Vorsicht! Es empfiehlt sich immer genau zu prüfen, was einen erwartet. Wer einen Besuch im Neuburger „Birdland-Jazzclub“ von gesellschaftlichen Zwängen („Jetzt gemma amal zum Jazz“) oder dem jüngsten euphorischen Zeitungsbericht abhängig macht, der könnte sein blaues Wunder erleben.

Denn was in der Woche zuvor noch relativ bekömmlich über die Rampe kam, kann heute ziemliche Verdauungsprobleme bereiten. Das Trio um den Pianisten Jürgen Friedrich zum Beispiel mit dem grandiosen Sopransaxofonisten Dave Liebman: Wackersteine, Zementsäcke, die quer im Magen liegen, bittere Laugen, bei denen sich jeder konventionell geeichte Geschmacksnerv automatisch verknotet. Selbst aus ruhigen Balladen wachsen Dornen. Sperrige Kompositionen, kantig bis zur Verletzung. Es ist etwas Anders, Abseitiges, was die Drei mit ihrem prominenten Stargast da zelebrieren. Ein ungestümer Angriff auf das, was gemeinhin als schön, rein und makellos gilt. Eine Attacke auf Vorurteile und Klischees, die den Jazz allzu sehr verwässern. Aber auch die Suche nach neuen Ausdrucksformen. Schlicht der Mut, einmal etwas Neues zu probieren.

Glücklicherweise flüchtet zur Pause nur eine Handvoll. Der Rest erlebt einen bemerkenswert konsequenten Abend, einen Exkurs auf dem kommerziell unbequemen Weg der Ausformulierung einer individuellen Musiksprache. Das simple Wort „Jazz“ – für Liebman, Friedrich, den Bassisten John Herbert und den Schlagzeuger Tony Moreno ist es ein ständiger Appell an die persönliche Integrität.

Friedrich hat eigens ein neues Programm für diese Tour mit seinem großen amerikanischen Vorbild geschrieben. Ein Klangbiotop voller Farb- und Stimmungswechsel. Der Pianist komponiert wie er denkt: diametral, in verschiedenen Ebenen. Sein Jazz muss nicht swingen, obwohl das dichte rhythmische Geflecht, das Moreno und Herbert knüpfen, jeden fesselt. Er ist mehr E- als U-Musik, mehr aufnotiert, denn improvisiert, mehr formstreng denn zügellos. Der unbedingte Anspruch, anspruchsvoll zu sein.

Dies lässt sich eigentlich kaum über zwei Stunden aufrechterhalten. Aber erstaunlicherweise bleibt das Gros des Publikums sitzen, vertieft sich in die spirituellen Momente von „Velvet“, lässt sich auf dem „Karussell“ schwindelig drehen, folgt sogar jenem ruppigen, wütenden, freien Stück, das den Namen „Markant“ allemal verdient hat. Es sind die Gegensätze, die anziehen. Das unmittelbar darauf folgende „Flauschig“ wirkt wie ein Schalldämpfer: Schläfrige, schlurfende, walzerartige Ringelreihen, bei dem Liebmans Soprano mal wie ein verwunschenes Horn, dann wieder wie ein Kazoo klingt.

Der 58-jährige Eigenbrötler aus Brooklyn, der einst mit Miles Davis in dessen elektrischer Phase Triumphe feierte, ist einer der reifsten, brillantesten Jünger der Spieltechnik eines John Coltrane. Gesegnet mit einem schlanken, aber in seinen Konturen enorm chargierenden Ton, einer unendlichen Ausdruckspalette vom Lachen, Weinen, Glucksen bis hin zu einer geradezu herausfordernd coolen Lakonie.

Dave Liebman achtet hypersensibel auf seine drei Mitmusiker, gibt ihnen allen Raum zur Entfaltung und lässt sich oft von den wagemutigen Konstruktionen Friedrichs mitreißen. Beide verwachsen dann förmlich ineinander wie ein Echo. In solchen Momenten wird schlagartig klar, dass gerade dieses musikalische Slowfood mehr Nährwert hat, als ihm eilige Gelegenheitskonsumenten oftmals zugestehen wollen.