Etliche Jahre hat Manfred Rehm, Chef des Birdland Jazzclubs in Neuburg, auf diesen Tag hingearbeitet und nicht locker gelassen. Er wollte ihn unbedingt wenigstens einmal im Birdland haben und nun ist er endlich da. Noch dazu mit einem Solokonzert, was ja immer etwas ganz besonderes ist. Fred Hersch aus New York City, der von der Fachwelt kurz und bündig als „der weltweit beste aktive Jazzpianist“ bezeichnet wird, sorgt für den längst fälligen Eintrag im Gästebuch des Clubs und liefert ein sensationelles Konzert ab.
Tommy Flannagan, Cecil Taylor, Kenny Baron – die Liste legendärer Jazzpianisten im Birdland ist ellenlang und eindrucksvoll, aber Hersch mit seiner schier unerschöpflichen harmonischen und melodischen Fülle setzt neue Maßstäbe, erweitert das, was vor ihm war, immer wieder um neue Einflüsse, entwickelt sein Spiel permanent weiter und ist ein steter Erneuerer, der als Improvisator eine Atmosphäre schafft, in der sich seine Musik organisch entwickeln kann. Hersch stattet sein musikalisches Gebäude mit vorher nicht existenten, selbst entworfenen Accessoires aus, räumt hin und her, ist auf verschiedenen Ebenen aktiv, erfindet aus dem Augenblick heraus künstlerisch einzigartige Objekte, die das Ergebnis eines offensichtlich nie endenden kreativen Prozesses sind. Hersch’s kreativer Output ist anscheinend grenzenlos, seine Spielweise einzigartig. Wie er melodische Linien von der rechten auf die linke Hand quasi „durchreicht“, wie er ständig die Akzentuierung verschiebt, Tempi variiert, moduliert, wie er die ausgewählten Stücke mit Zitaten, auch aus dem Bereich der Klassik, geradezu spickt, so dass das Thema mitunter selber zum Zitat wird, so macht das in dieser Perfektion außer ihm niemand in der Welt des Jazz. Wenn Hersch improvisiert, steht gewissermaßen für eine gewisse Zeit die Welt still. Nichts anderes ist mehr wichtig, wenn man ihm als Zuhörer auf immer neue Pfade folgt, dabei seinen nie versiegenden Ideenreichtum bewundert, sich bedingungslos der Führung durch seine überbordende Kreativität anvertraut.
Hersch’s Einzigartigkeit wird hörbar in Eigenkompositionen wie den Titelsong seines aktuellen Albums „The Surrounding Green“, dem für seine Mutter geschriebenen „West Virginia Rose“ oder dem Bill Frisell zugedachten „Down Home“, noch mehr aber fast bei seinen Adaptionen, weil man hier im Vergleich zum Original ausmachen kann, wie sehr Hersch die Vorlagen sozusagen zu eigenen Kompositionen macht, ohne ihnen Gewalt anzutun oder sie gar zu zerstören. Duke Ellington’s „Mood Indigo“ und „Caravan“ sind beste Beispiele dafür, aber auch „Softly As In The Morning Sunrise“ oder Benny Golson’s „Whisper Not“ belegen dies ebenso wie Antonio Carlos Jobim und natürlich Thelonious Monk, weil: „Es gibt für mich kein Konzert ohne Monk-Music“, wie Hersch sagt.
Und als dann im Zugabenteil auch noch Billy Joel’s „And So It Goes“ erklingt, offenbart uns Hersch – nach seiner Hommage „Pastorale“ als Verbeugung vor Robert Schumann – noch ein weiteres Mal, dass Genregrenzen für ihn ja sowieso nicht existieren. Der Gigant Fred Hersch im Birdland. Was für ein sensationelles Konzert. Ein Weltstar zum Anfassen und zum Plaudern gleich nach dem Konzert am Tresen. Und das alles direkt vor unserer Haustür.

