Von der Besetzung her ist es eigentlich etwas durch und durch Traditionelles: ein Gitarrentrio mit Bass und Schlagzeug. Man muss schon eigens im Programm darauf hinweisen, dass da einer spielt, bei denen das Instrument nicht singlenotig oder schrammelnd klingt und der sich nicht über Akkorde und Riffs am Fließband identifizieren lassen will, wie die meisten anderen Kolleginnen und Kollegen. Frank Wingold geht lieber andere Wege, navigiert wie ein Maler durch ein wuchtiges, farbiges Gesamtkunstwerk, das ihm zwei der Allerbesten ihres Faches gar meisterlich grundieren, nämlich der Bassist Robert Landfermann und der Drummer Jonas Burgwinkel.
Das Resultat ist in der Tat erstaunlich, sowohl von Seiten des Publikums, das allein schon aus Neugier auf den 56-jährigen Professor an der Musikhochschule Osnabrück, der zum ersten Mal in Neuburg gastiert, doch recht zahlreich den Weg in den Neuburger Birdland-Jazzclub sucht, wie auch hinsichtlich der Musiker. Denn selten zuvor konnte ein simples, vermeintlich berechenbares Triumvirat derart fesseln, verblüffen und das Publikum für mehr als zwei Stunden in seinen Bann schlagen, wie dies Frank Wingolds „Entangled Trio“ gelang – ein weiterer Beweis für die schier unendliche Überraschungsfülle des Jazz. Schon allein die Titel, die der etwas andere Gitarrist für seine vielschichtigen Kompositionen wählt, skizzieren nahezu punktgenau die Atmosphäre der dazugehörigen Songs, die sich dank der wendigen, für alle Einflüsse offenen Protagonisten zu faszinierenden Klangbildern entwickeln.
Die Angst vor der Leere, die Angst vor dem Nichts etwa lässt sich kaum besser in Töne verwandeln, als in dem dunklen, Gänsehaut hervorrufenden „Horror Vacui“. Wenn die drei ihren „Nucleus“ vorstellen, dann tauchen vor dem geistigen Auge lustige Moleküle auf, die sich beim lauschigen Sonntags-Kaffee munter auf Betriebstemperatur plappern, um sich zum Schluss wieder hörbar abzukühlen. Oder „Monolith“, einer von vielen kleinen Höhepunkten an diesem spannenden Abend: Ein Pinselstrich von Kandinsky trifft auf die Farbenpracht Rembrandts und die schrille Modernität Picassos. Übersetzt in die Musiksprache bedeutet dies, dass aus einer folkigen Liedform ein rotziges Bluesrock-Ungetüm herauswächst, bei der Wingold seine Gitarre überfallartig verzerrt und Burgwinkel trommelt, als besäße er im Londoner Untergrund eine Zweitwohnung.
Das ist nur eine Facette des augenblicklich vielseitigsten deutschen Schlagzeugers, der wie sein kongenialer Rhythmuspartner Landfermann mit weichen, plastischen und markanten Linien am Kontrabass kopfüber in die flirrenden Kompositionen des Saitenzauberers eintaucht. Frank Wingold bevorzugt das Spiel auf der siebensaitigen Gitarre, einer Archtop, mit der es ihm leichthändig gelingt, Akkorde wirbeln und polyfone Passagen oder Arpeggios wie Farbkleckse durch die Luft fliegen zu lassen, und das alles ohne andere zitieren oder kopieren zu müssen. Der Kölner produziert einen warmen, weichen, relativ dunklen Sound, der sich ohne Scheuklappen aus allen Genre-Schubladen bedient.
Vor allem „Urban Myth“, das letzte, heftig beklatschte Stück des Abends, erklärt eindrucksvoll, warum der Gitarrist seinem Trio und seiner Musik den Beinamen „entangled“ (verstrickt) verpasst hat. Wingold ließ sich von einem quantenphysikalischen Phänomen leiten, wonach ein Impuls auf ein bestimmtes Element ein anderes unweigerlich zu einer Reaktion zwingt. Für die Musik bedeutet dies, ineinandergreifende Strukturen zu entwickeln und ganz allmählich jedes Instrument aus seiner angestammten Rolle herauszulösen, es quasi zu emanzipieren. Denn selbst wenn er, Jonas Burgwinkel und Robert Landfermann mal solieren, dann klingt es nie wie der Showcase eines Einzelnen. Es wirkt eher wie ein großes, faszinierendes Gemälde, bei dem es sich wirklich lohnt, auf die unzähligen kleinen Nuancen zu achten.